LEXIKON DES MODERNEN UND UNMODERNEN FUSSBALLS : Fußballzitat, das
CHRISTOPH BIERMANN
Kürzlich hat Thomas Gsella Abbitte geleistet, auch wenn das nicht unbedingt nötig gewesen wäre. Er habe „den Scheiß halbwegs mitverbrochen“, schrieb der ehemalige Chefredakteur der Titanic entnervt über die Flut von Büchern mit vorgeblich lustigen Fußballzitaten. Aber da ging er zu streng mit sich ins Gericht, schließlich war sein mit Heribert Lenz und Jürgen Roth verfasstes Buch „So werde ich Heribert Fassbender. Grund- und Aufbauwortschatz Fußballreportage“ durchaus hilfreiche Sprachkritik. Der ehemalige „Sportschau“-Chef war ein vor 15 Jahren zudem treffend gewähltes Opfer des Spotts, weil er mit heiligem Ernst beeindruckenden Unsinn erzählte. Herrisch schickte Fassbender einen argentinischen Schiedsrichter „in die Pampa“ oder schuf den Klassiker: „Es steht im Augenblick 1:1. Aber es hätte auch umgekehrt lauten können.“
In den Neunzigerjahren wurden auch die Fußballspieler regelmäßig vor Kameras gezogen, und das bekam ihnen nicht gut. Vor Schreck versuchten sie mit der legendären Floskel „Ja gut“ oder auch „Ja gut, ich sag mal“ Zeit zu schinden, wenn sie durchgeschwitzt vom Platz kamen und ihnen ein Reporter direkt das Mikro unter die Nase hielt. Meistens bewahrte sie das aber nicht vor einem Taumelslalom durch die deutsche Sprache, ob nun Bruno Labbadia das Wort „hochsterilisieren“ erfand, Andy Brehme immer wieder Brehmerismen schuf („Das Unmögliche wahr zu machen wird ein Ding der Unmöglichkeit“) oder Jürgen Klinsmann die grammatikalische Konstruktion des „die wo“ durchzusetzen versuchte.
Das war zweifellos komisch, doch je häufiger solche Dönekes gesammelt und zwischen Buchdeckel gesteckt wurden, desto mehr wuchs der Verdacht, dass der Spaß daran nicht so unschuldig ist, wie er daherkommt. Das Vergnügen an den Stilblüten ist oft genug nichts anderes als Ausdruck einer Mischung aus Neid und Überheblichkeit: Die mögen toll Fußball spielen können, berühmt sein und auf jeden Fall einen Haufen Geld verdienen, dafür sind sie aber doof. Damit kann sich noch die trübste aller Trübnasen trösten und laut lachend auf die Schenkel klopfen.
Außerdem drückt sich darin ein weit verbreitetes Missverständnis aus, denn warum muss ein Fußballspieler eigentlich überhaupt über Fußball sprechen können, wo es schon schlimm genug ist, den Unsinn zu hören, den Schauspieler über Filme erzählen? Deshalb bin ich bis heute dem ehemaligen Schalker Yves Eigenrauch dankbar, der nach Spielen immer sagte: „Ich habe keine Ahnung, wie es war.“
Doof ist zudem, dass die Stilblütenproduktion inzwischen dramatisch eingebrochen ist. Seit das Leben der Fußballprofis zum ununterbrochenen Mikrofontraining geworden ist, geben sie selbst direkt nach Spielschluss, wenn der Körper noch Spitzenwerte von Adrenalin produziert, verblüffend unfallfrei und mitunter sogar erhellend Auskunft. Der Nachschub an sprachlichen Eigentoren dünnt derart aus, dass etwa ein stets Lukas Podolski zugeschriebenes Zitat – „Fußball ist wie Schach ohne Würfel“ – in Wirklichkeit vom Poldi-Parodisten Jan Böhmermann stammt.
So kommt neues Material meist nur noch von Sprücheklopfern, die ihr Geld auch als Gagschreiber verdienen könnten. Der ehemalige österreichische Nationaltrainer Josef Hickersberger wurde 2009 völlig verdient von der Akademie für Fußballkultur für den Fußballspruch des Jahres geehrt: „Wir haben nur unsere Stärken trainiert, deswegen war das Training heute nach 15 Minuten abgeschlossen.“ Das war selbstironisch und wirklich lustig.
Auch Fassbenders Enkel auf den Reporterplätzen produzieren nur noch selten Sprachmüll, was ebenfalls eine Folge der Vervielfachung des Berichteten ist. Denn gerade die Reporter der Bezahlsender sitzen so oft am Mikrofon, dass sie zumeist was davon verstehen, worüber sie sprechen, und auch den passenden Ton finden. Gsella muss sich also nicht grämen, das Thema wird sich von selbst erledigen – außer Lothar Matthäus kehrt zurück.