LESERINNENBRIEFE :
Spezialdemokratischer Wahlverein
■ betr.: „Ich würde alle verfügbaren Steuer-CDs aufkaufen“, Interview mit Hans Eichel, taz vom 5. 4. 13
In seiner Rückschau war der einstige Herr der schwarzen Löcher, Hans Eichel, ein eifriger Verfechter von Steuergerechtigkeit. Im Wissen, dass „beim Steuernzahlen eine Zweiklassengesellschaft“ existiert und das „Gros der globalen Banken in den Betrug involviert ist“, ja sogar am „kriminellen System“ beteiligt ist, hat er sich mit Verve mit den G 20 und der OECD angelegt, um dem ganzen Treiben einen Riegel vorzuschieben. Er konnte sich leider nicht gegen diese und auch nicht gegen Union, FDP und mächtige Bankenlobby durchsetzen. Soweit die Märchenstunde des Herrn Eichel.
Man kennt das Muster schon aus den hanebüchenen Erzählungen über die Agenda 2010. Anstelle von Demut und dem Eingeständnis verheerenden Fehlverhaltens blüht im spezialdemokratischen Wahlverein der Nach-Schröder-Ära weithin die Realitätsverweigerung – mit absehbaren Folgen für die nächsten Wahlen. Die Wahrheit sieht natürlich etwas anders aus: Gemessen an den massiven Steuergeschenken für Reiche und Aktienunternehmen und an den ganzen Gesetzen zur Deregulierung des Kapitalverkehrs und dem Desaster, das damit angerichtet wurde, gab es in der Geschichte der Republik keine Regierung, die das Gemeinwesen dermaßen geschädigt hat wie die Schröder-Mischpoke. All dies wurde in quasi vorauseilendem Gehorsam gegenüber den Kapitaleignern putschartig auf den Weg gebracht. Die Interessen von Arbeitnehmern und Bürgern, von denen Eichel heute gern spricht, haben keine Rolle gespielt. Die damaligen Akteure wähnten sich in einer „Neuen Zeit“ und eins mit dem Fortschritt – etwas, worauf die SPD historisch schon immer besonders affin reagierte. Die logische Folge dieser Politik (mittels Privatisierung, Ausverkauf der öffentlichen Güter, exzessiver Befreiung des Finanzsektors von jeglicher Regulierung, Verzicht auf Steuereinnahmen und -gerechtigkeit) heißt nach der ökonomischen Saldenmechanik rapide anwachsende öffentliche Verschuldung. In einem Nebensatz räumt Eichel selbst ein, dass wir heute bei „voller Steuerehrlichkeit wahrscheinlich keine Staatsschulden“ hätten.
Die USA haben am Beispiel der Schweizer Banken demonstriert, dass nationale Wege möglich sind, um Steuern von Flüchtigen einzutreiben. Dem Finanzministerium, dem Eichel vorstand, war die Bankenaufsicht unterstellt. Wenn man wollte, ließe sich einiges vorstellen, um offensichtlichen Schädigungen der res publica entgegenzuwirken. Davon ist bei Basel I-III, dem internationalen Gremium der Bankenaufsichten nichts zu bemerken. Auch unterhalb der Gesetzesebene, wo Opposition und Bundesrat erst als Akteure ins Spiel kommen, kann ein Behördenchef einiges veranlassen, um der Gerechtigkeit näher zu kommen. Doch genau um das Gegenteil ging es, wie die Dokumente belegen. HANS GÜNTER GREWER, Saarbrücken
Täter Hitler, Denker Nietzsche?
■ betr.: „Handgranaten für Prag“, taz vom 3. 4. 13
Es gibt schon seltsame Bettgenossen: Ich bin im Westen, genauer in Bayern, zur Schule gegangen, und bei uns waren es die Pfaffen, die Nietzsche stockvoll für Adolf Hitler geradestehen ließen. Und der Spiegel, ausgerechnet: In den 80ern gab es ein Titelbild, welches ich noch vor Augen habe: Eine Karikatur mit Nietzsche im Hitlerkopf und dazu ein Aufmacher: „Täter Hitler, Denker Nietzsche“. Die Fähigkeit zu lesen, wird bei den dortigen Schreibern einfach nicht nachgefragt. In der Tat: Nichts hat Nietzsche mehr verachtet als Deutschtum und Antisemitismus. „Aber hier soll mich nichts hindern, grob zu werden und den Deutschen endlich einmal zu sagen, was sie alles auf dem Kerbholz haben …“ MATHIAS SCHMID, Wasserburg
Fantasiespektakel
■ betr.: „Handgranaten für Prag“, taz vom 3. 4. 13
Da hilft kein ranschmeißerisches „Lieber Woody Allen“: So verquast darf man nicht argumentieren, als Philosophin nicht und nicht als „Wagnerianerin“. Auf die Unerlöstheit des Menschen, die man meinetwegen metaphysisch konstatieren kann, reagiert Wagners Musik mit Großspurigkeit, eingebettet in Fantasiespektakel, die, angelehnt an mittelalterliche Epen, angeblich ewig gültige Themen behandeln. Dieser Ansatz ist pseudophilosophisch und gesellschaftspolitisch autoritär, und genau deshalb hat Wagners Dramatik seit jeher Reaktionäre und Despoten fasziniert, die sich immer für exklusive Menschenkenner halten, denn das gibt ihnen die Rechtfertigung für ihre Repressionen. Dass das Großbürgertum der Gründerzeit von der – unbewussten – Idee des eigenen Untergangs gruselnd fasziniert war, steht dem mitnichten entgegen. Wie bewältigt Woody Allen die Unerlöstheit? Mit (Selbst-!)Ironie bis zur Schmerzgrenze („woher soll ich wissen, warum es Nazis gab, ich weiß ja nicht mal, wie der Dosenöffner funktioniert“), mit ratloser Kontemplation und Sarkasmus. Das ist ein zutiefst humaner Ansatz. WOLFGANG SPIES, Halle (Saale)
Und der Orje fragt den Kulle
■ betr.: „Falkenbrot, des Dichters Tod“, Ein Biobäcker kupfert eine Brot-Werbekampagne der 70er/80er Jahre ab, taz vom 5. 4. 13
Jenni Zylka, ich bin begeistert! Sehr lebhaft kamen mir U-Bahn-Fahrten in den Sinn in der Zeit zwischen 1978 und 1983, meist zwischen Alt Tegel und Turmstraße, wo ich über die geniale Paech-Brot-Werbung nachgrübelte. Mein Klassiker, unvergessen: „Und der Orje fragt den Kulle / willste ooch ne Paech-Brot-Stulle?“ Wobei ich weder eine Ahnung hatte, wer Orje bzw. Kulle waren noch (damals) die spezielle Schönheit dieser Reime so recht würdigen konnte. Aber heute! Anneli Baum-Resch, Mainz