piwik no script img

Archiv-Artikel

LESERINNENBRIEFE

Brückenbauer gesucht

■ betr.: „Autoritäre Atheisten“, taz vom 23. 12. 10

Um die antiislamischen Stimmen in der Bevölkerung abzugreifen, rät Daniel Bax den Linken, sich von einer Partei, die christliche wie humanistische Werte anerkennt und einfordert, zu wandeln in eine Partei, die allen Religionen in schlechter atheistischer Tradition ablehnend bis feindselig gegenübersteht. Auf der politischen Bühne gefragt sind jedoch nicht die „Kulturkämpfer“, sondern diejenigen, die es fertigbringen, Brücken zu bauen zwischen den Kulturen und Religionen. Das ist die Voraussetzung dafür, dass staatliche und religiöse Institutionen, auch die der Muslime, miteinander in Beziehung stehen mit dem Ziel, sich gegenseitig zu bereichern.

GEORG WEIL, Hannover

Ein problematischer Text

■ betr.: „Autoritäre Atheisten“, taz vom 23. 12. 10

Den Text von Daniel Bax finde ich höchst problematisch. Bax trennt nicht zwischen staatlicher Diskriminierung religiöser Menschen und einer „Trennung“ von Staat und Kirche. Das genau ist es, was Marx in seinem Text zur Judenfrage kritisierte. Marx antwortete auf Bauer, der meinte, die Juden könnten vom politischen Staat nicht „integriert“ werden, weil sie auf dem Samstag als Feiertag bestünden, dass ein Staat, der die Integration der Juden von deren Verzicht auf religiöse Riten abhängig macht, kein politischer, sondern im Grunde selbst ein religiöser Staat sei. Wenn Bax glaubt, durch den ausgebufften „Trick“ einer radikalen säkularen Agenda könne man dann endlich auch was gegen Kopftücher machen und trotzdem links bleiben, dann irrt er. Trennung von Staat und Kirche bedeutet nicht, in die Privatsphäre einzugreifen, sondern z. B. keine Kirchensteuern zu kassieren und das hohle Geplapper von dem „uns“ (in Absetzung von „den Muslimen“) einenden jüdisch-christlichen Erbe zu beenden. Letztlich nämlich würde sich der Staat nicht gegen das Kruzifix am Hals, sondern eben gegen das als fremd definierte Kopftuch der Muslima wenden, so wie wir das in Frankreich beobachten können. Bax argumentiert, dass die Linke die Waffen im Kampf gegen Rassismus strecken sollte, um aus dem islamfeindlichen Bock einen säkularen Gärtner zu machen. Das finde ich ziemlich gefährlich und bestimmt nicht links. Das Bedürfnis nach Religiosität entsteht nicht im leeren Raum, sondern wird durch die materiellen Verhältnisse hervorgerufen. Die zu verändern ist Aufgabe der Linken, nicht die vermeintliche Abkürzung durch Gründung einer AG Säkulare Linke. PAUL GRASSE, Berlin

Der eine nützt, der andere schützt

■ betr.: „Wikileaks war gestern“, taz vom 30. 12. 10

Der CCC-Congress beschäftigte sich lieber mit einem „Anti-Assange“, welcher sich weigerte, private Daten seiner Kunden an das FBI weiterzugeben. Also mit einem Datenaktivisten, der nicht etwa große Datenmengen offen legt wie Assange, sondern einem, der sie mit seinem ganzen Einfluss zu schützen versuchte. Dass Hacker vom CCC diesem Nicholas Merrill Respekt zollen, steht jedoch nicht im Widerspruch zu ihrer Sympathhie gegenüber Assange. Punkt acht der Hackerethik (http://www.ccc.de/hackerethics) lautet: „öffentliche Daten nützen, private Daten schützen.“ Und genau deshalb liegen die Sympathien der Hacker bei Assange und Merrill. Der eine nützt, der andere schützt. Zuletzt ging es auf dem 27C3 natürlich auch ums Whistleblowing. Denn Ex-Wikileaker Domscheit-Berg redete über sein neues Netzwerk Open Leaks. Und es gab einen weiteren Vortrag zu dem Thema, was der Bericht leider verschweigt. Schade. Wikileaks war mitnichten gestern. KARL URBAN, Dossenheim

Einsame Spitze

■ betr.: „Arme sind in Deutschland dumm dran“, taz 4. 1. 11

Seit wann basieren eure Artikel zu OECD-Ländervergleichen auf zwischengeschalteten Bertelsmann-Studien? Es sollte sich inzwischen herumgesprochen haben, dass diese Stiftung zwar gemeinnützig heißt (und steuerlich auch so behandelt wird), aber nicht unbedingt das Beste für die Menschen will. Glaubt Anna Lehmann wirklich, dass „die Tatsache, dass der Anteil erwerbstätiger armer Menschen in den vergangenen zehn Jahren zugenommen hat“, bei der Bertelsmann-Stiftung „Besorgnis erregt“? Ihr muss der Gütersloher Beifall zu den Schröder’schen Untaten komplett entgangen sein. Im Übrigen heißt es in der Original-Studie: „Seit dem Jahr 2000 haben in Deutschland Einkommensungleichheit und Armut stärker zugenommen als in jedem anderen OECD-Land. Der Anstieg zwischen 2000 und 2005 übertraf jenen in den gesamten vorherigen 15 Jahren (1985 bis 2000)“. Bei der Bertelsmann-Stiftung wird daraus, dass Deutschland bei diesem Thema „Nachholbedarf“ hat und eine „steiler werdende soziale Schieflage“ zu beobachten sei. Ja, so kann man es auch nennen, wenn inzwischen 19 % der deutschen Haushalte ohne jegliches Erwerbseinkommen dastehen. Einsame Spitze übrigens, sagt die OECD-Studie. THORSTEN SCHNEIDER, Hannover