LESERINNENBRIEFE :
Gewalt bleibt gleich
■ betr.: „Kaufen ist billiger als stehlen“, taz vom 30. 11. 11
Die Logik der Argumentation von Steven Pinkert folgt dem Denken, dass westeuropäische Länder zivilisierter sind als der Rest der Weltbevölkerung. Sie morden weniger, wenden weniger körperliche Gewalt an… Die tollen Menschen des westlichen Zeitgeistes haben angeblich in ihrer Epoche „etwas richtig gemacht“. Aufgrund dieser Logik fühlt man sich nicht nur besser als der Rest der Welt, sondern auch als alle Menschen, die jemals gelebt haben, und das ist innerpsychisch nichts weiter als ein selbststabilisierendes Argument, das dem Autor und seinen LeserInnen ein gutes Gewissen macht.
Pinkert untermauert seinen Text unzulänglich mit Norbert Elias. Elias meint aber, dass Gewalt – etwa wie Energie – nicht entstehen oder verloren gehen kann, sondern sich in ihrer Form wandelt, wenn sich Gesellschaften zivilisieren. Wenn physische Gewalt verschwindet, wird sie zu psychischer oder ökonomischer Gewalt. Es gibt keinen Grund zu jubeln, denn mit dem Verschwinden körperlicher Gewalt werden andere Gewaltformen wachsen, die subtiler sind, weniger schnell enttarnt werden können und über ihre harmlose Gestalt legitimiert werden. Heute werden Kinder nicht mehr geprügelt (überspitzt kann man sagen, „leider“ werden sie nicht mehr geprügelt, denn dies ist eine offensichtliche Gewaltform), heute werden Kinder durch Beschämung und Ausgrenzung diszipliniert, und wenn sie dabei seelischen Schmerz empfinden, wird der nicht mit dem Akt der Beschämung in Verbindung gebracht. JULI MILK, Dresden
Hochgradig verharmlosend
■ betr.: „Was alles nicht fehlt“, taz vom 30. 11. 11
„Geschmacklose Gesänge“ betitelt ihr judenfeindliche und volksverhetzende Parolen bei einem Oberligaspiel (vermutlich Fußball, da keine Sportart genannt wurde) in Zwickau oder Aue. Dieser von euch verwendete Titel ist hochgradig verharmlosend! Ich finde es gut, dass ihr darüber berichtet, dass der „Staatsschutz“ (=Verfassungsschutz?) wegen dieser verfassungsfeindlichen Parolen ermittelt. Wegen Geschmacklosigkeiten würde wohl nicht ermittelt. Über Geschmack lässt sich ja bekanntlich streiten, über diese Äußerungen allerdings nicht. INGRID HERTRICH, Wiesloch
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit
■ betr.: „Wo kommt das Lohngefälle her?“, taz vom 1. 12. 11
In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 kann man in Artikel 23 nachlesen: „Jeder, ohne Unterschied, hat das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit.“ Somit wäre zumindest geklärt, dass es in der BRD seit 63 Jahren nicht gelungen ist, im eigenen Land diese Menschenrechtsverletzung zu beenden.
Die Opfer, Geschädigten, Ausgebeuteten, strukturell Benachteiligten, das sind vorwiegend Menschen weiblichen Geschlechts. Frauen arbeiten jedes Jahr beinahe drei Monate umsonst für die ArbeitgeberInnen. Bleibt noch die Frage nach den dafür Verantwortlichen (den Schuldigen, Täterinnen und Tätern). Das sind all diejenigen Menschen in unserem Lande, die Entscheidungsbefugnis besitzen, die Hebel entsprechend bewegen können beziehungsweise könnten, all diejenigen, die davon profitieren und so den Eigennutz über das zivilisatorische Gebot der Gleichbehandlung stellen. Verantwortlich sind auf keinen Fall die Opfer selbst, die sich zu wenig oder zu wenig erfolgreich wehren. Durch Unterzeichnung erkennen die jeweiligen Staaten den universellen Rechtsanspruch an.
Mit Verweis auf die Menschenrechtserklärung von 1948 lässt sich ungleicher Lohn für gleiche Arbeit als absolut rückständig, unzivilisiert, ja inhuman beschreiben. Jeder zivilisierte Mensch entlohnt gleiche Arbeit mit gleichem Lohn. Vielleicht sollte man die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte nicht nur als dekoratives Feigenblatt verwenden, sondern bei Entscheidungsfindungen als Richtschnur, als Grundlage auch nutzen. Die Welt würde, glaube ich, doch etwas menschlicher. MAGDALENA FEDERLIN, Aichach
So ein Ärger aber auch
■ betr.: „Die Kaffeesatzleserin“, taz vom 1. 12. 11
So ein Ärger aber auch: Da möchte Kristina Schröder mit einem echten Aufregerthema bei den relevanten Wählerschichten punkten – vermutlich bei denen, die immer so gekonnt verächtlich die Mundwinkel fallen lassen, sobald sie einer Kopftuchträgerin ansichtig werden –, und just dann schmeißt sich die mediale Öffentlichkeit aufs Thema Rechtsterrorismus und macht die ganze schöne Kampagne zunichte. Dabei handelt es sich doch um ganz seriöse, konkrete Zahlen („Schätzungen von Beratern“), deren Interpretation mit etwaigen persönlichen Ressentiments gar nichts zu tun hat… Ein gezieltes Vorgehen seitens der Politik gegen Zwangsverheiratungen wäre eine gute Sache. Das populistische, um nicht zu sagen sarrazinistische Verhalten Frau Schröders bestärkt aber lediglich die Ablehnungshaltung von Kleingeistern allen „Fremden“ gegenüber und schadet den Betroffenen damit noch mehr. FRANK PÖRSCHKE, Hattingen