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LEERSTELLE Gegenkultur und Erneuerung – Richard Hell erzählt in seiner Autobiografie „Blank Generation“ die Geschichte des frühen New Yorker PunkDas Prinzip Punk

von Jens Uthoff

Am Anfang steht eine Leerstelle. Sie ist deutlich zu sehen. Zum Beispiel auf der Brust von Richard Hell, wo der mit Filzer auf die Haut gepinselte Satz „You make me _____“ unvollständig bleibt. Das Foto von ihm prangt auf dem Buchcover der Autobiografie des einstigen New Yorker Punkmusikers. Eine Leerstelle, die auf die „Blank Generation“ (Leere Generation) anspielt, wie seine Band Richard Hell & The Voidoids die frühen Punk-Jahrgänge nennt. Nach der hat er auch seine Memoiren benannt.

Der 1977 veröffentlichte Song Richard Hells über gewisse Fremdzuschreibungen auf die im Entstehen begriffene Punkszene machte den Ausdruck Blank Generation seinerzeit zumindest unter Kulturinteressierten geläufig: „I belong to the blank generation / and I can take it or leave it each time.“ Ätzend, arrogant, angepisst klingen diese dahingequäkten Zeilen. New York geht vor die Hunde, die Welt geht vor die Hunde: Alles wäre sinnvoller, als dieses Lied hier zu spielen – das zumindest, könnte man denken, könnte Richard Hell denken, wenn man ihn so singen hört.

Diese Eindrücke können wichtig sein, wenn man aus heutiger Perspektive über Punk nachdenkt und darüber, warum es für heutige Bands immer noch attraktiv sein kann, mit den Mitteln des Punk kritische Kunst zu produzieren. Denn es ging bei Punk vielleicht mehr als je zuvor in der Popkultur um Habitus, Mode, die Form des Ausdrucks, Sound als Inbegriff all dessen. Mit den Erinnerungen Richard Hells liegt jetzt die Geschichte eines wichtigen frühen Protagonisten des New Yorker Punk auf Deutsch vor. Seine frühe Gruppe Television, mit der er 1974/1975 ein Jahr lang die Hausband im New Yorker CBGB, dem Zentrum der damaligen Szene, war, gilt neben Bands wie den Stooges oder MC5 als Wegbereiter des Punk in den Staaten.

Hells Buch ist zugleich Coming-of-Age- und Szeneroman. Es ist die persönliche Reflexion eines Dabeigewesenen auf die Frühphase des Punk, oft im Vor-sich-hin-Denker-Ton verfasst. Es war die Zeit der Selbstermächtigung, des Aufruhrs, des Einfach-machen-Wollens.

„Die halbe Schönheit von Rock ’n’ Roll besteht darin, dass ‚jeder es tun kann‘, das heißt, man muss kein Virtuose, sondern einfach angesteckt sein und einen unschuldigen Instinkt und viel Glück haben. Deshalb ist es die Kunst von Teenagern“, schreibt Hell. „Was mich unter anderem am Rock ’n’ Roll begeisterte, waren seine Ausdrucksformen, also auch Kleidung und Haarschnittmode. Man konnte bestimmte Aspekte seines Bedeutungspotenzials zerstören, während man in anderen schwelgte.“ Er differenziert dabei nicht immer zwischen Rock-’n’-Roll- und Punkkultur, obwohl der Bruch zum herkömmlichen Rock natürlich wichtig war und der Punk eine ganz andere Symbolsprache entwickelte als die heroisierende Rockkultur.

Bevor er zur New Yorker Jugendkultur findet, wächst der 1949 geborene Richard Myers, der sich später den Künstlernamen Hell geben sollte, in Lexington, Kentucky, auf. Seine Herkunft aus einer jüdischen Familie handelt er eher am Rande ab, auch Kindheit und Jugend durchstreift er recht zügig. Hell berichtet vom früh angelegten Drang „abzuhauen“, vom sexuellen und intellektuellen Erwachen in den Teenagerjahren – in dieser Zeit ist der walisische Schriftsteller Dylan Thomas ein großes Vorbild. Gerade 17-jährig macht Hell sich nach New York auf.

Dort gibt er von 1968 an ein Lyrikmagazin heraus. Mit diesem versucht er sich auch von alten Beatnik-Größen wie Allen Ginsberg, denen er in New York begegnet, zu emanzipieren. Hell interessiert sich für die klassischen Avantgarden wie Surrealismus, Dadaismus und Situationismus – in deren Tradition er auch Punk begreift.

Natürlich ist Richard Hells Leben auch eine Sex-Drugs-and-Rock-’n’-Roll-Saga

Zur Musik kommt Hell relativ spät. Erst als er 1973 das erste Mal mit seiner zukünftigen Band Television und deren Gitarristen Tom Verlaine probt, überwältigt ihn der Spaß am gemeinsamen Musikmachen. Die Passage, in der er die Magie des Moments beschreibt, liest sich toll – auch weil er darin die Unmöglichkeit einer Beschreibung beschreibt. Hell spielt Bass bei Television, wie später auch bei Richard Hell and The Voidoids. Der Bandname, ein unter Freunden ausgedachter Nonsensbegriff.

Im Zentrum der Biografie steht aber die Geschichte der frühen bis mittleren siebziger Jahre rund ums CBGB in New York; die Zeit, in der der die Glamrocker von den New York Dolls um Johnny Thunders hoch im Kurs standen. In der Patti Smith „Horses“ veröffentlichte, in der die Pariser Künstlerin Lizzy Mercier Descloux in New York aufschlug. In der das Punk-Magazin gegründet wurde. Die Zeit, in der Punk geboren wurde.

Aber trifft es der Begriff Punk überhaupt? Richard Hell sagt: „ ,Punk‘ ist eine zu beschränkte Beschreibung dessen, was sich dort von 1974 bis 77 ereignete. Einerseits war der Ort trister und bescheuerter, als er normalerweise dargestellt wird. [. . .] Andererseits hatten wir mit unserer Imagination diese Realität hervorgezaubert, in der wir die Repräsentanten – der Klang, das Auftreten und Verhalten – jener Umgebung waren, die wir im CBGB geschaffen hatten.“

Natürlich spielt in der Biografie auch der Szene-Gossip eine Rolle. Natürlich ist es auch eine Sex-Drugs-and-Rock-’n’-Roll-Saga – wer macht was mit wem, wer treibt es mit wem, wer nimmt welche Substanzen.

Einige Passagen lesen sich im Deutschen etwas sperrig; manchmal hätte die deutsche Übersetzung sich weiter vom Original entfernen dürfen. Und die Songtexte hätte man vielleicht besser gänzlich im Englischen belassen.

Das aber sind Randnotizen – denn es macht Spaß, diese Memoiren und Gedankengänge zu lesen. Hell wirft einen erzählerischen, distanzierten Blick auf den damals neuen Underground – keinen bloß historisierenden.

Ihm liegt daran, seine Geschichte, das egozentrische Verhalten, die „Selbstverliebtheit und Ichbezogenheit“ (Hell) neu zu bewerten. Die kritische Sicht auf sich selbst ist gelungen. Gleichzeitig würdigt er die Verdienste anderer, etwa die von Robert Quine, dem 2004 verstorbenen Gitarristen seiner Band. Oder er lobt die Sex Pistols, die das Prinzip Punk perfektionierten: „Die Band war, solange sie existierte, perfekt, und alles, was sie tat, war unvorhersehbar und neu. Jede Band damals mit auch nur etwas Ehrgeiz musste sich angesichts der Sex Pistols hinterfragen.“

Richard Hells Band produzierte ebenfalls nur drei Alben, zwischen 1977 und 1989. Die Biografie endet 1984, als er mit dem Musikmachen aufhört und Schriftsteller wird – und damit erst wirklich bekannt.

Populäre Musik und Gegenwartskunst kommen seither an Punk nicht mehr vorbei. Auch wenn Punk wohl eher spielerisch nihilistisch und weniger existenziell negationistisch gemeint war, als dies viele später angenommen haben. Vielleicht hat man im Punk eher Nietzsches „Umwertung aller Werte“ zum künstlerischen Paradigma erhoben – um so die vorherrschenden gesellschaftlichen Werte zu persiflieren.

In einem solchen Sinne könnte Punk sich auch heute mit den eigenen Mitteln und aus sich selbst heraus beständig erneuern, dabei aber auch andere Ausdrucksformen suchen.

Richard Hell: „Blank Generation“. Aus dem Englischen von Norbert Hofmann. Edition Tiamat, Berlin 2015, 300 Seiten, 20 Euro

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