LEBENSRETTERS FEIERABEND

■ Das Dortmunder „Rocktheater Nachtschicht“ spielt „Rumms“ für die DLRG in der Aula der Wildmeister-Oberschule in 1/47

Wutzkyallee 68-78 in RudowBuckowSonstwow - da kommt man nicht hin, wenn man nicht dort geboren ist, in der U-Bahn einschläft oder aber das Dortmunder Rocktheater Nachtschicht sehen möchte; dieses nämlich verfügt über den taz-Leserinnen und Lesern wohlbekannten Fritz Eckenga, der auf der Flimmern &Rauschen-Seite derart einschneidend schön über TV-Sport-Kameraden („Der großegroße Rolf Kramer“) usw. zu berichten weiß, daß selbst der vor kurzem ausgeschiedene taz-Programmdirektor rah! Hünninghaus, der inzwischen als Arzneimittellieferant in Lohn und Brot steht, vor seinen Texten das Käppi zieht, was er nicht oft tut; Herr Eckenga nun ist Sänger und Texteschreiber bei Nachtschicht und trat am Freitagabend mit einer weiteren Sängerin, vier Musikern und drei Technikern auf einer Geschlossenen Veranstaltung der Deutschen LebensRettungsGesellschaft an, die ihren Jubiläumsanlaß nicht ohne kulturelle Fleischeinlage verstreichen lassen wollte.

Die feiernden Schwimm- und Bademeister waren in zivil, also angenehm vollständig bekleidet erschienen; es handelte sich dabei in erster Linie um junge Menschen, die trotz ihres bislang recht kurzen Lebens sichtlich jede Menge im Wasser herumgelegen haben und jetzt, quasi am verdienten Lebensretterfeierabend, ihre weiche Schwimmermuskulatur in weiche Kapuzentrainingsjacken hüllten und gespannt in den Die Stuhlreihen bitte nicht verrücken-Sitzen hockten.

Im Gegensatz zum schon widernatürlich gesunden Publikum stieg die Nachtschicht stark grippegeschädigt auf die Bühne der Wildmeisteroberschulaula, hat sich ansonsten seit ihrem letzten Berlin-Auftritt vor zwei Jahren aber stark gebessert. Moralische Selbstverständlichkeiten wie keine Frauen und/oder Neger unterdrücken, Atomraketen schlimm und „den Frieden“ klasse finden usw. meidet die seit knapp zehn Jahren umherstreifende Nachtschicht mittlerweile; ihr neustes Programm, Rumms, hat eher das kompostmoderne Wennallesegalist zum Thema und die große Blablablödsinnsblase, die es umgibt.

Komm, wir legen uns zu Edgar und verweigern die Nahrungsaufnahme, heißt es in einer erleuchteten Parodie auf das sog. neue, ambitionierte, deutsche Kino, das sich um Jammern, Jaulen, Heulen und Zähneklappern so verdient gemacht hat; die schönste Sequenz des Abends ist eine umfassende Kultur- und Sittengeschichte des Ruhris, also Ruhrpottlers in Wort und Bild, da stimmt hunderteinsprozentig alles, von der Kunstlederkappe bis zum Muß ja. Unn sellbs?, hier ist die Nachtschicht original, weiß, wovon sie redet und spielt, und das Herz schlägt heftig für die Dargestellten, die wundervollen, entsetzlichen Bekloppten, die rund um die Ruhr ihr Wesen treiben. Eine Dia-Show mit lebenden, eingefrorenen Bildern hat ähnliches Kaliber, als Darsteller, als Wirklichkeitsabbilder sind die Nachtschichtler klasse, das Dösige, das in uns wohnt, beherrschen sie virtuos und filigran.

Die Songs fallen hinter die satirische Sprach- und Schauspielerei zurück; zwar ist die Musik mehr als ordentlich gemacht, eins a sauberes und zum Teil überdurchschnittliches Handwerk, aber es bleibt übliche Rockmusik, schematisch, ohne Inspiration, und auch die Texte verflachen, wenn sie zwischen Versfuß und Zeilenmaß gequetscht werden. Alles kein Problem, die Zukunft wird schön , das ist doch gerade die Art Konventionalironie, die uns schon so viele Aufdeutschsingekapellen verleidet hat, weil sie so Meingottbinichkritischundengagiert daherkommt und alles, nur nicht komisch ist komischerweise aber sind gerade diese Elemente, Rummta -Mitsingemusik und Gemeinschaft-der-Guten-Menschen-Themen beim Publikum überaus beliebt, und sollte die Nachtschicht Mumm (Nein, Leser Laschky, das ist jetzt nicht der Sekt!) genug haben, ganz von ihnen abzulassen, dann würden sie zwar mir uneingeschränkt gefallen, dürften aber vielleicht nicht mehr gutdotiert für den DGB, die SPD oder die Deutsche LebensRettungsGesellschaft die Kulturpaviane abgeben. Das wäre natürlich schade.

wiglaf droste (ehemaliges Mitglied des DLRG-Ortsvereins Bielefeld-Brake und Inhaber des Grund- und des Leistungsscheins)