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LCD Soundsystem"Ein dummer, maskuliner Prollsong"

Bis auf weiteres keine Hits: LCD Soundsystem bleiben ihrer Rolle als Antihelden zwischen Dancefloor und Indierock treu. Ihr neues Album "This is happening" schließt die Bandgeschichte ab.

LCD Soundsystem alias James Murphy, Romanautor in spe. Bild: promo

James Murphy hat große Pläne. Endlich den länger geplanten Roman schreiben, vielleicht ein Hotel oder ein Restaurant eröffnen, mehr Zeit mit Familie und Freunden verbringen. Die letzte Dekade als LCD Soundsystem war von Touren, Auftragsarbeiten und Studioaufenthalten dominiert. Pünktlich zum vierzigsten Geburtstag soll jetzt aber Schluss sein mit der Musik. Habe er von Anfang an so geplant.

Sein am Freitag erscheinendes drittes Album "This Is Happening" wird das Projekt abschließen. Nicht nur mit seiner Ein-Mann-Band hat der New Yorker Produzent die Nullerjahre maßgeblich musikalisch mitgestaltet. Zusammen mit Tim Goldsworthy betreibt Murphy das Label DFA und war mitverantwortlich für den Erfolg von Künstlern wie Hercules & Love Affair, The Juan MacLean oder The Rapture, allesamt Künstler, die No Wave, House und Disco mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten auf ihre Art zusammendachten.

Mit Holy Ghost! steht bereits der nächste DFA-Hype in den Startlöchern, das lang erwartete Debütalbum des Brooklyner Duos soll bald erscheinen. Murphy möchte also den Jüngeren das Feld überlassen. Vielleicht rührt die Müdigkeit aber auch noch von der Doppelbelastung des vergangenen Jahres. Parallel zu den Arbeiten an "This Is Happening" musste der Soundtrack zu Noah Baumbachs Anti-Komödie "Greenberg" fertiggestellt werden. Murphys Akustikkompositionen kommentieren die Handlung des Films und nehmen einen ähnlichen Stellenwert ein wie die Jonathan-Richman-Chansons im Soundtrack der ebenfalls mit Ben Stiller besetzten Komödie "Verrückt nach Mary". Im Gegensatz zu Richman, dem damals vor der Kamera eine tragende Rolle zukam, hält Murphy sich bei "Greenberg" aber dezent im Hintergrund. Man sieht ihn einmal als Statist vorbeihuschen.

Regisseur und Drehbuchautor Noah Baumbach ist langjähriger Fan des Musikers und hat sogar erklärt, das Skript zu Greenberg sei von dem zweiten LCD-Soundsystem-Album "Sound Of Silver" beeinflusst gewesen. Murphy war ohnehin für die Aufnahmen zu "This Is Happening" in Los Angeles, was die spontane Zusammenarbeit am Drehort erheblich erleichtert habe. Im Film geht es, wie eben oft auch in Murphys Texten, um das Thema Altern, um verpasste Chancen, die Angst vor dem Verlust der Coolness. Die von Ben Stiller phänomenal verkörperte Hauptfigur Roger Greenberg ist eine neurotische Existenz Anfang 40, die für ein paar Wochen aus New York in die Heimatstadt Los Angeles zurückkehrt. Als ehemaliger Musiker, der vor Jahren das einzige Angebot einer großen Plattenfirma in den Wind geschossen hatte, weil die ihm nach Ausverkauf roch, verdingt er sich nun als Schreiner. "Greenberg" mag symptomatisch sein für eine ganze Generation von 30- und 40-jährigen Ex-Teenagern, die sich zwischen Selbstverwirklichung und Karriere, zwischen Spaß und Familienplanung nie entscheiden kann.

"Indecision" hatte der amerikanische Autor Benjamin Kunkel 2005 seinen großen Roman zu dem Thema betitelt. Der Verlust der Jugend kann eben schmerzen. Greenberg erntet nur Hohn und Spott, wenn er nach einer Prise Koks einem Haufen Kids auf einer Party erklären möchte, das Album "Rio" von Duran Duran sei immer noch der beste Kokainsoundtrack aller Zeiten. Denn die Halbwüchsigen hören lieber den Crossoversound von Korn beim Drogenschniefen.

James Murphy parodierte jenen Typus des besserwisserischen Geschmacksdiktators, der sich nichts vormachen lässt, bereits auf der LCD-Soundsystem-Single "Losing My Edge" von 2002: "I Was There At The First Can Show In Cologne/ (?)/ I was there in 1974 at the first Suicide practices in a loft in New York City/ (?)/I was the first guy playing Daft Punk to the rock kids/ I played it at CBGBs?". Murphy selbst gilt als Paradehipster schlechthin, als eine Art zeitgenössischer David Byrne, permanent auf dem schmalen Grat zwischen Underground und Mainstream wandernd. Die von ihm und Tim Goldsworthy produzierte Single "House Of Jealous Lovers" von The Rapture trat 2001 ein regelrechtes Post-Punkrevival los, welches die kompletten Nullerjahre überdauern sollte.

Plötzlich gab es zahlreiche junge Bands, die sich musikalisch in der Tradition von Suicide, ESG oder Gang Of Four bewegten, wenn auch manchen der Epigonen Style wichtiger zu sein schien als Haltung. Anfang der Nullerjahre war Murphy bereits in seinen frühen Dreißigern. Er hatte sich als Soundmischer für verschiedene Indierock- und Punkbands einen Namen gemacht. Seine Lieblingsbands hießen The Smiths und The Fall. Murphys späterer Labelpartner Tim Goldsworthy machte ihn schließlich mit den Underground-Danceplatten aus Chicago, Detroit und New York vertraut, die Murphy maßgeblich beeinflussen sollten. Anfangs veröffentlichte er nur sporadisch Singles auf dem eigenen Label, bis zum Debütalbum vergingen fast vier Jahre.

Sein nöliger, an Mark E. Smith geschulter Sprechgesangsstil wurde zu seinem Markenzeichen. Obwohl er sich als Dilettant sah, der lediglich die Arbeitsweisen des Punkrock auf die elektronische Musik übertragen hat, wurde James Murphy zu einem vielgefragten Produzenten, was ihm beinahe einen Job als Hitfabrikant für Britney Spears beschert hätte. Nach einem gemeinsamen Tag im Studio war aber allen Beteiligten klar, dass hier zwei Welten kollidieren. Das neue LCD-Soundsystem-Album hält mit dem Song "You Wanted A Hit" eine kleine Abrechnung parat. Murphy singt: "You Wanted A Hit/ But Maybe We Dont Do Hits/ We Try And Try/ But Somehow It Feels Wrong" über einem geraden Discobeat und catchy Synthiehooks, ehe die einsetzenden verzerrten Gitarren jegliches Harmoniegefühl wieder zerstören.

Objektiv gesehen gibt es wenig gute Gründe, das Projekt LCD Soundsystem ausgerechnet jetzt zu Grabe zu tragen. Er hat es erneut auf die Titelseiten der relevanten Musikmagazine geschafft. Mit der Single "Drunk Girls" wurde mal wieder eines der schwächeren, untypischeren Lieder als Single ausgekoppelt. Im dazugehörigen Video von Spike Jonze werden Murphy und seine Mitstreiter während der Performance in Jackass-Manier von Statisten in Tierkostümen bedrängt. Das Stück ist ein Funpunk-Song, den man sich auf einer Studentenparty vorstellen könnte, irgendwo zwischen "I Fought The Law" von The Clash und "Girls" von den Beastie Boys.

Auf den Vergleich angesprochen muss Murphy lachen. Einen richtig "dummen, maskulinen Prollsong" habe er schon immer mal schreiben wollen. Vielleicht auch als Kontrast zur sonst so retrofuturistischen Ausrichtung des Labels mit seinem zuletzt immer stärkeren Fokus auf House. Musikalisch habe er jedenfalls seinen Zenit erreicht, und damit sei es eben an der Zeit abzutreten: "Der Ehrgeiz ist bei LCD Soundsystem einfach nicht mehr so stark wie am Anfang. Mir fehlt die Wut. Ich habe mir also gedacht, ich mache noch eine großartige dritte Platte und ziehe mich dann zurück, ich muss nicht mehr berühmt werden. Mit 40 fängt man eben auch an nachzudenken, ob es nicht noch andere Dinge gibt, die einen fordern."

Natürlich gibt es außermusikalische Kunstfelder, in denen Murphy versiert ist. Der ehemalige Literaturstudent hatte mit Anfang 20 ein Jobangebot als Autor für die Sitcom "Seinfeld". Damals lehnte er ab, eine Existenz als Drehbuchschreiber erschien ihm einfach zu unglamourös. Die Zeiten ändern sich. Während der Arbeiten an dem "Greenberg"-Soundtrack habe er wieder angefangen, an einem Roman zu schreiben.

So könnte das abschließende LCD-Soundsystem-Album zugleich der Startschuss einer völlig neuen Karriere sein. Dem neuen Lebensabschnitt entsprechend, sieht er die Dinge ziemlich entspannt: "Ich meine, ich bin gerade mal 40, für einen Schriftsteller ist das doch noch ziemlich jung, oder?"

LCD Soundsystem, "This is happening" (DFA/EMI)

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