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„Kyrill“ ändert MeinungsklimaKOMMENTAR VON MALTE KREUTZFELDT

Auch wenn es angesichts der Toten und Verletzen zynisch klingen mag: Aus umweltpolitischer Sicht war „Kyrill“ ein hilfreicher Orkan zur rechten Zeit. Seit 30 Jahren warnen Wissenschaftler vor der Möglichkeit des Klimawandels, seit über zehn Jahren gilt als sicher, dass das von Menschen erzeugte Kohlendioxid dafür mitverantwortlich ist. Steigende Meeresspiegel, schmelzende Gletscher, verschobene Klimazonen und mehr Stürme: All das kündigen Forscher schon lange an.

Doch die abstrakten Warnungen hatten wenig Wirkung. Zwar beschloss die internationale Staatengemeinschaft 1997 in Kioto, die CO2-Emissionen zu begrenzen. Gebracht hat das wenig: Der weltweite Ausstoß stieg seitdem um 29 Prozent. Auch in Deutschland blockierte eine starke Industrielobby weitreichende Maßnahmen, und die Öffentlichkeit blieb gleichgültig. Klimawandel war Theorie oder weit weg.

Bis „Kyrill“ kam. Seitdem gibt es Sondersendungen zur Primetime, der Orkan ist auf den Titeln aller Boulevardmedien und Gesprächsthema Nr. 1 im Supermarkt: Wie in den USA, wo der Treibhauseffekt erst nach der Überflutung von New Orleans zur Kenntnis genommen wurde, machen auch hierzulande erst Wetterextreme wie der warme Winter und der Orkan das Klimaproblem zum Mainstream-Thema.

Man kann sich ärgern, dass umgestürzte Bäume, gestrichene Züge und ausgefallene Schulstunden die Menschen mehr aufrütteln als wissenschaftliche Warnungen oder die Bedrohung ganzer Länder am anderen Ende der Welt. Man kann sich wundern, dass Wetter und Klima in der momentanen Debatte mitunter allzu schnell gleichgesetzt werden. Und man mag über die Motive von Medien grübeln, die lange die Ökosteuer verdammt haben und nun die Folgen fehlenden Klimaschutzes beklagen.

Doch wenn der Sturm hilft, das Meinungsklima in Deutschland zu verändern und – gerade während des deutschen EU- und G-8-Vorsitzes – eine radikalere Politik, eine echte Energiewende realistischer macht, wäre viel gewonnen. Vermutlich aber werden noch einige Katastrophen nötig sein, bis der Sturm nicht nur den Berliner Hauptbahnhof erschüttert, sondern auch die Politik im Kanzleramt.

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