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Kutips zum Wochenend

Neuesten Umfragen zufolge ist die Leserschaft dieser Zeitung erstens beneidenswert jung und schön und gehört in der zweiten Großgruppe der gut situierten, an entscheidenden Stellen tätigen, gut ausgebildeten politisch denkenden und überhaupt fabelhaften Generation der um die 46,5jährigen an. Diesen Menschen, Ihnen also, wenden wir uns heute zu. Denn jetzt, da wieder ein Jahr zu Ende geht, ist es Zeit, kurz innezuhalten und diesem schnellebigen Lellileben wenigstens für einen Moment die kalte Schulter zu zeigen. War nicht, denken Sie sofort, gerade vor einem Monat ein anderes Jahr zu Ende gegangen? Und plagte Sie nicht gerade vor sechs Wochen der Kater nach der Feier zum Jahreswechsel vom Vorvorjahr zum Vorjahr?

Damals, Weihnachten. Wer bloß hatte ausgeheckt, vor diesem Fest viiiieerr verflixte Adventssonntage anzusetzen. Ewig zog sich das Warten aufs Christkind, also auf Geschenke, hin, und ein Ende war nicht abzusehen. Und heute? Heute sind ein Jahr nichts und viereinhalb Wochen ein Zwölftel von nichts. Mit dem Schnellellileben nahen Alter und Vergeßlichkeit, und da hilft nur Denksport.

„Alle dafür, aber die Mehrheit ist dagegen“ lautet unsere heutige Lektion für alle unsere Lieben, die vor Einführung der Mengenlehre um 1970 eingeschult wurden. Wenn nämlich alle dafür sind, aber die Mehrheit dagegen ist, dann können gar nicht alle dafür sein, weil die „Mehrheit“ ein großer Teil von „alle“ ist. Weil aber andererseits die Zeit als vierte Dimension (nach Kant unbedingt) zu bedenken ist, könnte „alle dafür“ einen Zustand davor (etwa vor Einführung der Orientierungsstufe) beschreiben und „Mehrheit ist dagegen“ die Gegenwart. Quizfrage: Wer war, ist und wird gewesen sein die Minderheit?

Notieren Sie die Antworten auf einen Zettel und legen ihn in den Windfang. Notieren Sie auf einem anderem Zettel, daß Sie die Antworten auf einem Zettel notiert und den Zettel in den Windfang gelegt haben, und legen Sie den Zettel auf den Küchenschrank. Notieren Sie auf einem dritten Zettel, daß Sie den Zettel, der Sie daran erinnern soll, daß Sie den Zettel, auf dem die Antworten steht, in den Windfang gelegt haben, auf dem Küchenschrank finden können, und legen Sie den Zettel unters Kopfkissen. Nehmen Sie Ihr Stickzeug zur Hand und sticken Sie in Ihren Pyjama, daß Sie den Zettel ... Ach? Sie schlafen nackt.

By the way: Wie lautete die Kutips-Empfehlung des vergangenen Wochenendes? Richtig (der Denksport hilft schon): opulent frühstücken. Zeigen Sie heute mal bei einem Fünf-Gänge-Abendessen, wie viel Lebenslust noch in Ihnen steckt. Und lassen Sie sich anschließend von beneidenswert jungen und schönen Menschen beneiden. taz

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