: Kurz vor der Popgrenze
■ Die Erbsenzähler von Ween setzen Maßstäbe in Schokolade und Käse
Es ist kaum gerechtfertigt, das amerikanische Duo als „Pop-Zyniker“ zu bezeichnen, ist die Lage doch etwas komplexer. Als Gene und Dean Ween (Aaron Freeman und Mickey Melchiondo) vor fünf Jahren ihre erste Platte God Ween Satan nannten und mit The Oneness untertitelten, war das zunächst nicht mehr als eine krude Ansammlung fragmentarischer Pop-Ideen, 26 schillernde Beispiele überquellender Phantasie und Schaffenskraft. Doch was wie ein kurzes Aufflackern gebrochenen Humors am Ende der Welt erschien kam zurück. The Pod, nach eigenem Bekunden in einem Stall voller Fliegen aufgenommen und aus 3600 Stunden Kassettenmaterial extrahiert, bündelte 22 knapp gescheiterte Versuche, eine Brücke zwischen Homerecording, Plastik-Pop und Kurzgeschichten britischen Humors zu ziehen. Nur kurze Zeit später dämmerte der Welt mit Pure Guava ihr weiteres Schicksal. Mit Industriemacht ausgestattet, griffen die notorischen Zwei 19 Mal gen Pop-Himmel und bremsten jedesmal nur kurz vorher ab, um mitgebrachte Störfaktoren zu dokumentieren.
Mit dieser faszinierenden Bescheidenheit ist es seit wenigen Monaten vorbei. Ende 1994 banden Ween ihr Maskottchen, Boognish, das Strichmonster mit der Krone, um eine kaum bekleidete Frau, füllten das Ganze mit (nur) 16 Evergreens und nannten es Chocolate And Cheese. Allerorten spielten sich dramatische Szenen ab. Da plötzlich auch Radiohörer die ebenso eigene wie eklektische Musik hörten, fühlten sich mikrokosmische Sektierer von den vermeintlichen Brüdern im Geiste betrogen; andere rochen durch die Zitatensammlung Kalkül und Postmoderne; Mainstream-Medien dachten, sie hätten eine verborgene Platte des früher Prince Genannten entdeckt.
Ween haben den Knoten platzen lassen. Aus tausenden abgebundener Hits wurden jetzt mindestens 15 echte, und das ohne Netz und doppelten Boden. Kein Zynismus, keine Widerrede. (Schweine-) Rock, Soul, Folk und viel Funk finden in einer Art und Weise zusammen, die nur im Hinblick auf ihre Geschichte als hart arbeitende, in sich selbst vertiefte Spinner mit heftigen Anflügen von Genialität annähernd zu verstehen ist. Dieses so noch nie vorgekommene Zusammentreffen zweier menschlicher Grundbedürfnisse – nach kruden, gebrochenen Randexistenzen und nach großem, schillernden Pop – wird weitreichende Folgen haben. Woran kaum noch zu glauben war: Jetzt dürfen wir nochmal Teil einer Jugendbewegung sein.
Uschi Steiner
Di., 21. März, Markthalle, 21 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen