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Kurt Scheels LichtspieleSo nicht, Herr Großkapital!

■ Nachbarschaftshilfe, Freundlichkeit etc.: Eine Anmerkung zu Capras „Meet John Doe“

Vor einigen Wochen habe ich zum erstenmal „Meet John Doe“ von Frank Capra gesehen, einen merkwürdigen Film aus dem Jahr 1941, nicht recht gelungen und doch sehr interessant, keineswegs ein alter Hut, sondern brennend aktuell, passen Sie auf...

Barbara Stanwyck ist eine Journalistin, der gekündigt wird, weil der neue Herausgeber aus einer ziemlich seriösen Zeitung ein Knüllerblatt machen will (tazler, aufgemerkt!). Kann er haben, sagt sich die Stanwyck voller Wut und erfindet den Leserbrief eines „John Doe“, der ankündigt, sich am Weihnachtstag vom Rathaus zu stürzen, aus Protest gegen Arbeitslosigkeit.

Der Artikel schlägt groß ein, die Konkurrenzblätter schäumen und vermuten einen Fake, was den neuen Herausgeber nun erst recht zwingt, an der Story festzuhalten, um nicht als Depp dazustehen. Die clevere Stanwyck macht ihm ein Angebot, das er nicht ablehnen kann, und sucht sich aus einem Haufen von Hobos einfach ihren „John Doe“ heraus: Gary Cooper, einen Baseballspieler, der wegen einer Verletzung arbeitslos durch die Lande zieht und gerne bei dem Schwindel mitmacht, wenn er nur was zu essen kriegt.

Und nun gibt es eine wunderbare Verwandlungssequenz, die Erfüllung eines Tagtraums, wie man sich, eben noch ein abgerissener, verachteter Penner, plötzlich in einem feinen Hotel wiederfindet, von Leibwächtern und dienstbaren Geistern umgeben. Eine typische Capra-Szene, die er so nur noch in „Die unteren Zehntausend“ hingekriegt hat: Ein halbes Dutzend Friseusen, Maniküren und Schneider wankt erschöpft aus der Hotelsuite, und dann sehen wir statt der versoffenen Bettlerin Apple Annie eine so vornehme alte Dame, umhüllt von festlicher Kleidung und majestätischer Musik, daß die Queen Mom neidisch werden könnte.

Das Märchen vom Aschenputtel, das groß rauskommt, und wenn es so schön dargestellt wird wie bei Capra, ist es unwiderstehlich, denn wer träumt nicht davon, als häßliches Entlein einzuschlafen und als prächtiger Schwan aufzuwachen?

Barbara Stanwyck schreibt eine Serie von Zeitungsartikeln über „John Doe“, und der wird zum Star, Mister All American, der Sprecher der unter der Depression leidenden kleinen Leute, denen er im Radio und auf Vortragsreisen seine einfachen Wahrheiten verkündet: Nachbarschaftshilfe, Freundlichkeit und Toleranz, Mißtrauen gegen Politiker. Praktisch also das Programm des heutigen Kommunitarismus, und der ist ja nicht nur zum Lachen, auch wenn er uns durchblickerischen Europäern so schrecklich naiv vorkommt.

Überall bilden sich John-Doe- Clubs, es geht quasi ein Roman Herzogscher Ruck durchs ganze Land, und dann bekommen Cooper und Stanwyck mit, daß der Besitzer der Zeitung, ein mächtiger Tycoon, sie nur benutzt, um mit populistischer Politikverachtung Politik zu machen (ein Prinzip, das Reagan dann später zur Vollendung geführt hat). Er will nämlich Präsident werden und mit dem ganzen Unsinn von Streiks und Meinungsfreiheit und Demokratie aufhören beziehungsweise deren Auswüchse beschneiden. Daß unser Tycoon physiognomisch Mussolini ähnelt und von einer schwarz uniformierten Privatarmee umgeben ist, ist uns von Anfang an verdächtig vorgekommen, und auch Cooper und Stanwyck riechen jetzt Lunte: So nicht, Herr (faschistoides) Großkapital!

Und dann gibt es wieder eine typische Capra-Szene: „Vor der größtmöglichen Öffentlichkeit muß der Held gestehen, daß er Mist gebaut hat“ (Andrew Sarris) – vor dem nationalen Konvent der John-Doe-Clubs versucht Cooper sich zu outen und seine Anhänger vor dem bösen Tycoon zu warnen, der aber läßt ihn als Schwindler, der er ja wirklich ist, verhaften, und beschimpft und bespuckt von seinen Fans fällt John Doe ins Nichts zurück...

Aber dies ist ein Capra-Film, und deswegen geht er noch weiter und gut aus. Die Kritik hat Capra immer vorgeworfen, er sei sentimental und verlogen, und in diesem Film ganz besonders. Pauline Kael: „Der Film beginnt in der zuversichtlichen Art Capras, wenngleich dunkler intoniert; aber vom Ende ist man verwirrt und fühlt sich betrogen.“

Und sie hat ja auch recht, realistisch ist der gute Ausgang der Geschichte nicht gerade. Capra schildert in „Meet John Doe“ wie in „Mr. Deeds Goes to Town“, „Mr. Smith Goes to Washington“ und natürlich „It's a Wonderful Life“ einen Traum, den amerikanischen Traum: daß die kleinen Leute – we, the people –, wenn sie denn zusammenstehen, nicht besiegt werden können, und in allen diesen Filmen dürfen wir ihn träumen, bis „The End“ auf der Leinwand erscheint. Sollten wir das, kritisch, wie wir nun einmal sind, eine Lüge nennen? Lieber nicht, denn der amerikanische Traum existiert ja wirklich, in den Köpfen der Menschen, und von der Realität dieser Sehnsucht und dieses Optimismus erzählen Capras Märchen, ohne die wir kleinen Leute es, von Roosevelts New Deal bis zu Martin Luther Kings „I have a dream“, schwerer gehabt hätten. Kurt Scheel

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