piwik no script img

Kurt Scheels LichtspieleHabermas OK!

■ Betrachtungen zu Schweinchen Babe

Der hübscheste der neuen Filme, die ich in letzter Zeit gesehen habe, ist „Ein Schweinchen namens Babe“. Die Geschichte eines Ferkels, das durch Herzensgüte und Mut dem Kochtopf entgeht und eine wundersame Karriere als Hüteschwein macht: „From rags to riches“, die alte Geschichte und für uns alle, die wir den Kochtopf des Schicksals fürchten, Vorbild und Ansporn zugleich.

Es ist ein schlichter Zufall, daß Babe statt beim Metzger als erster Preis auf einer Landwirtschaftsausstellung landet und auch noch von einem sehr netten Schafzüchter gewonnen wird. Um Fred Astaire aus „The Gay Divorcee“ zu zitieren: „Ein Narr, wer das Schicksal für Zufall hält!“ Denn Babe wird im Laufe der Ereignisse nicht nur dies neuseeländische Tal, sondern vielleicht auch unser aller Leben verändern...

Ob nun Schicksal oder Zufall – das ist ja nur ein Streit um Worte, denn letztlich kommt es allein darauf an, ob wir an dem Platz, wo wir nun einmal stehen, als Schwein oder als Hirtenhund, als kleiner Zeitungsleser oder als großmächtiger Kolumnist unser Bestes geben.

Falsch! Denn „Babe“ erzählt gerade eine andere, eine emanzipatorische Geschichte: wie aus einem wandelnden Braten ein selbstbestimmtes Individuum wurde, das seine Gesellschaft revolutionierte. Babe ist hübsch, liebenswürdig und zutraulich, und daher gelingt es ihm, sowohl zu den Hütehunden als auch zu den Schafen gute Beziehungen zu unterhalten. Und Babe ist auch mutig: Als eine Horde wildernder Köter die Schafe auf der Koppel überfällt, wirft sich Babe dazwischen und schlägt die Marodeure in die Flucht. Das freilich verärgert den Chef der Tiere auf dem Bauernhof, den Oberhütehund Rex, zutiefst. Er, ein ehemaliger Champion, der mit seinem Älterwerden und seiner Schwerhörigkeit große Probleme hat, wird so wütend und eifersüchtig, daß er sein gutes Weib Fly, das Babe unter ihre Fittiche beziehungsweise Vorderläufe genommen hat, anfällt und sogar den Bauern, als der dazwischengeht, beißt.

Damit ist klar, daß Rex beim diesjährigen Hirtenhundwettbewerb nicht mitmachen kann, und die verletzte Fly auch nicht. Aber unser Bauer, ein Tüftler und Sturkopp, hat bemerkt, daß Babe kein gewöhnliches Schwein ist (wie wir alle) und ein auffälliges Interesse an den Schafen zeigt. Deshalb versucht er, es für den Wettbewerb zu trainieren: Beiß die Schafe in die Beine, sie müssen dich fürchten, sonst haben sie keinen Respekt vor dir!

Aber anstatt in solch archaischer Weise den „Wolf“, wie die Schafe die Hunde nennen, zu geben, setzt Babe auf Überzeugung und Freundlichkeit. Und es klappt! „Könntet ihr euch bitte, mir zuliebe, in Zweierreihen aufstellen und euch flink, aber ohne Drängelei, in das Gatter begeben?“ Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus: So liebenswürdig gebeten, ohne wolfsmäßiges Knurren und Beißen sind die Schafe gern bereit mitzumachen.

Herrschaftsfreier Dialog! Selbst im Tierreich ist somit die Theorie des kommunikativen Handelns quasi empirisch bestätigt – keine Rede davon, Habermas sei überholt, Luhmann gehöre die Zukunft.

„Ein Schweinchen namens Babe“ schildert den Übergang vom Feudalismus, vom autokratischen Befehlssystem zur „civil society“, zur freiheitlichen Bürger- beziehungsweise Tiergesellschaft. Die Parolen des Klassenkampfes – „Wölfe sind böse“, sagen die Schafe, „Schafe sind dumm“, sagen die Hunde – werden obsolet; und in Gestalt eines kleinen Ferkels erblicken wir den Vorschein des neuen Menschen, der multikulturellen Gesellschaft...

Sentimentaler Quatsch! Die Realität, sie ist nicht so. Wohin wir auch schauen: Gewalt, Brutalität, Eigennutz, ja Globalisierung und Sozialabbau! Dieser Film will uns doch Schweine in die Augen streuen! Aber auch wenn J. Fest endgültig und mit Zustimmung aller im Bundestag vertretenen demokratischen Parteien die Utopie abgeschafft hat – wir freundlichen, liebenswürdigen Ferkel bewahren sie in unserem Herzen, wir geben nicht auf und kämpfen, wenn es sein muß, mit Feuer, Schwert und Zapfhahn, für eine Gesellschaft im Sinne Babes, wo Hund und Katz', Ochs' und Esel, Lamm und Löwe, Schwein und Ente ein großes, ewiges Straßenfest feiern können... Kurt Scheel

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen