Kurt Scheels Lichtspiele: Schaumwein, Dekolleté, Trallala
■ Die elf Gebote. Garantierter Kinoerfolg mit Preston Sturges
Ein hübsches Mädchen ist besser als ein häßliches. Dies ist ein Zitat, keineswegs meine Ansicht! Das „Aussehen“ von Frauen hat mich nie interessiert, mir kam es immer nur auf Charakter und Herzensbildung an, auf Pünktlichkeit und Sauberkeit.
Anders im Amerika der frühen vierziger Jahre. Eine hübsche Larve, „weibliche“ Formen, die schamlos zur Schau gestellt werden – der Respekt vor dem Mädel als gutem Kamerad des Mannes war dort nicht sehr verbreitet, weshalb auch das zweite der „Elf Gebote für garantierten Kinoerfolg“ offen sexistisch ist und lautet: Ein Bein ist besser als ein Arm.
Ein Schlafzimmer ist besser als ein Wohnzimmer. Aufgerichtet wurden diese ehernen Gesetzestafeln von Preston Sturges, 1940 bis 1944 der Wunderknabe Hollywoods, als er acht Filme drehte, von denen sechs zu den schönsten Komödien überhaupt zählen.
Eine Ankunft ist besser als eine Abreise. Das erste Mal sah ich „The Great McGinty“ Ende der sechziger Jahre im Fernsehen. Es war ein Schock, unglaublich: wie eine Capra-Komödie, aber ohne Kitsch; wie ein Lubitsch-Film, aber nicht europäisch dekadent, sondern amerikanisch aggressiv. Die Geschichte eines Penners, der sich mit Gangsterhilfe zum Gouverneur hochgaunert – und dann plötzlich durchdreht und alles verspielt: er ist von der Idee besessen, ein ehrlicher Politiker werden zu wollen, der sein Amt nicht für sich und seine Kumpane ausnutzt! (Franz Josef Strauß soll sich über den Film schiefgelacht haben.)
Eine Geburt ist besser als ein Todesfall. In meiner Lieblingsszene erklärt der Gangsterboß dem Gouverneur, daß er nun eine New-Deal-Politik, „vom Volk für das Volk“, betreiben und Staudämme bauen solle: „Du glaubst gar nicht, wieviel Zement man da reinschütten kann.“ Das ist nicht nur witzig, gleichzeitig bekommt man einen gutmarxistischen Einblick in die Gesetze des Kapitalismus und der politischen Ökonomie.
Eine Verfolgungsjagd ist besser als ein Gespräch. Von „Sullivan's Travels“ habe ich schon in der letzten Kolumne geschwärmt (taz-Abonnenten wissen mehr!), daher will ich heute nur Veronica Lake einen Kranz flechten, deren begrenzte schauspielerische Fähigkeiten durch ihren umwerfenden „peek a boo bang“ mehr als ausgeglichen wurden: langes blondes Haar, das ein Auge verdeckt und sehr, sehr schrill und künstlich aussieht; es ist dann geradezu ein Vamp-Topos geworden.
Ein Hund ist besser als eine Landschaft. In „The Lady Eve“ bringt die professionelle Falschspielerin Barbara Stanwyck den armen, unschuldigen Millionärssohn Henry Fonda so durcheinander, verdreht ihm so den Kopf, daß er sich gnadenlos zum Affen macht: die wohl lächerlichste Männerfigur seit Cary Grant in „Leoparden küßt man nicht“ und ein weiterer Beleg für meine These, daß Clausewitzsche Komödien die besten sind: Liebe ist die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln.
Ein Kätzchen ist besser als ein Hund. „The Palm Beach Story“ ist Sturges' durchgeknalltester, schnellster Film, mit einem champagnerschlürfenden Millionär namens John D. Hackensacker III und Claudette Colbert, die sich dem Highlife statt ihrem Ehemann-Ingenieur Joel McCrea hingibt – es siegt die Pflicht, aber erst ganz am Schluß, und deshalb sehen wir davon glücklicherweise nicht viel, sondern eben Schaumwein, Rückendekolleté, Trallala.
Ein Baby ist besser als ein Kätzchen. (Meiner Meinung nach ist das Unsinn.) „The Miracle of Morgan's Creek“ und „Hail the Conquering Hero“ sind Farcen, in denen Sturges dem für Sittsamkeit zuständigen Hays Office und dem Kriegsministerium ziemlich lange Nasen dreht: In beiden Filmen gibt der absolut häßlichste Mann, der jemals in Hollywoodfilmen die Hauptrolle spielen durfte, Eddie Bracken, einen Volltrottel (mit gutem Herzen, versteht sich), der einer von einem Soldaten geschwängerten Frau zur Seite liegt bzw. als heimkehrender Kriegsheld gefeiert wird, obwohl er (wegen chronischen Heuschnupfens) gar nicht eingezogen wurde.
Ein Kuß ist besser als ein Baby. Und dann war plötzlich Schluß. Sturges hat noch bei einer ganzen Reihe von anderen Filmen Regie geführt oder das Drehbuch geschrieben (so hatte er 1933 angefangen), aber er hatte das Timing, den Dialogwitz, die Überkandideltheit verloren. Seine wundersame Verbindung von Sophistication und Derbheit, von Sarkasmus und Sentiment, von Eleganz und Geschmacklosigkeit war zerbrochen. Das letzte seiner elf Gebote ehrt den Ursprung des Kinos, den Slapstick, und auch dafür wollen wir Preston Sturges lieben und ehren: Am allerbesten ist es, wenn jemand auf den Hintern fällt. Kurt Scheel
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