Kurt Scheels Lichtspiele: Sentenzchensperenzchen
■ Oder wie man ein Partylöwe wird – kleiner Ratgeber für Verlegene
„Edel sei der Mensch, hilfreich und gut“ – klingt sehr nett und kommod, ein zu beherzigender Merksatz gerade in Zeiten des Sozialabbaus. Aber wenn Sie an einem regnerischen Abend auf eine Party kommen und man Sie fragt: „Warum ziehen Sie nicht Ihren nassen Mantel aus und nehmen sich einen trockenen Martini?“ – das ist natürlich auch nicht schlecht. Die einen stehen eben mehr auf Goethe (ist nur ein Scherz: Schiller, klaro), die anderen auf Billy Wilder. Der Satz ist aus dem ersten Film, bei dem er Regie geführt hat, „The Major and the Minor“, mit Ginger Rodgers und Ray Milland. Nicht der ganz große Hammer, aber doch schon ziemlich abgedreht.
Wenn ich es also recht bedenke, dann sind es mehr die locker eingestreuten Filmsätze als die schwer literarischen Zitate (die mir durchaus zur Verfügung stehen, ich habe das große Latinum!), die meinem Leben diese glückliche Wende gegeben, mich bei jung und alt schließlich doch so beliebt gemacht haben.
Wenn Ihnen also auf dieser Party ein Langweiler über Semiologie und Stellenstopp zu erzählen nicht müde wird, machen Sie ein blasiertes Gesicht und sagen den berühmten Rhett-Butler- Satz: „Frankly, my dear, I don't give a damn.“ Einen besseren Abgang kann man kaum bekommen. Es sei denn, der Abgefertigte, auch nicht faul, repliziert: „Ihnen würde ich gerne einen körperlichen Verweis erteilen. – Verschieben wir's auf morgen.“ Er hat die Scarlett gegeben! Eben noch garstige Fremde, liegen sich plötzlich zwei vom Winde auf diese Party verwehte Kinokenner in den Armen, und das weitere ist klar: Dies ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft („Casablanca“).
Von den üblichen Verdächtigen, die verhaftet werden sollen, über das Angebot, zu dem man nicht nein sagen kann, bis zu den ratlosen Artisten in der Zirkuskuppel: Ist Ihnen eigentlich mal aufgefallen, wie stark Kinoschnacks in unsere herrschaftsfreie Kommunikation eingesickert sind? Sehen Sie!
Ich verrate Ihnen jetzt ein Geheimnis: „delectare et prodesse“, das Publikum zu erfreuen und es so zu belehren, daß es dies kaum bemerkt, diskret und elegant, mit Esprit und leichter Hand (Reim!) – das ist mein Ziel, und wenn es mir heute wieder einmal so glänzend gelingt, dann will ich es in aller Bescheidenheit zufrieden sein.
Aber das Leichte, machen wir uns nichts vor, ist auch und gerade in diesem größeren Deutschland: das Schwerste! Denn die deutsche Weinerlichkeit, Roman (!) Herzog hat schon wieder („Ruck“) so mutig den Finger in die Wunde, die nicht vergehen will, gelegt, ist ja nichts anderes als ein Ausfluß unserer Unfähigkeit zu trauern – und eben zu lachen! Aber es wird kommen der Tag („The Searchers“), wo wir nicht mehr um „just a little Planstelle“ („Der starke Ferdinand“) barmen, sondern alle Fieslinge mit den Worten „Komm her, Fatso!“ in die Schranken fordern und niedermachen, genau wie Burt Lancaster den ultragemeinen Ernest Borgnine in „Verdammt in alle Ewigkeit“. Yeah!
Andererseits. Nobody's perfect („Manche mögen's heiß“). Legen Sie also Ihre Schwächen bloß, Zeige Deine Wunde (Beuys). Wenn Sie also die Party ein bißchen in Schwung bringen wollen und Ihren Streichholztrick machen – Sie nehmen ein Streichholz (auf plattdeutsch übrigens nicht „Striekholt“, sondern „Rietsteeken“: Reißstöckchen!) zierlich zwischen Daumen und Zeigefinger und lassen es ganz ruhig bis zum Ende abbrennen –, wenn dann das faszinierte Publikum fragt, was denn der Trick dabei sei, dann lächeln Sie versonnen und sagen mit leichtem Ennui in der Stimme: „Der Trick, meine Lieben, besteht darin, sich den Schmerz nicht anmerken zu lassen.“ Wie Peter O'Toole in „Lawrence von Arabien“, und Sie werden genauso schön, geheimnisvoll und dekadent aussehen wie er, garantiert!
Denn die Wirklichkeit ist ja nicht nur ein Abklatsch unserer großen Romane, worauf Arno Schmidt hingewiesen hat, sondern eben auch unserer großen Filme. Manchmal sogar der kleinen, wenn sie uns ergreifen und wir sie in unserem Herzen bewegen: wodurch sie, für uns zumindest, zu großen Filmen werden. Wenn wir davon erzählen, con brio, hören alle gerne zu, und dann erzählen sie Geschichten und Sprüche aus Filmen, und schon ist ein fröhliches Geschnatter im Gange, man unterhält sich aufgekratzt mit wildfremden Menschen, und die blöde Party ist gerettet. „You don't believe me? Ask Helga“ (Joel Grey in „Cabaret“) bzw. Gore Vidal, einen wahren König der Partylöwen: „Es ist ein universelles Phänomen, daß nach der Absolvierung von Pflichtübungen zu Themen gelehrten Fachinteresses wie etwa Semiologie (und Stellenstopp) das Eis erst dann gebrochen ist, wenn jemand aufs Kino zu sprechen kommt. Plötzlich ist jeder hellwach und dabei. Nun wird mit Leidenschaft geredet. Filme sind die Lingua franca des 20. Jahrhunderts. Die Zehnte Muse hat die andern neun vom Olymp vertrieben – oder doch zumindest von dessen Gipfel.“ Und so gegen halb drei, wenn dann nirgendwo mehr Zigaretten zu schnorren sind, stellt sich Ihnen womöglich die Frage, ob Sie diese reizende Ulrike Soundso zum Ausklang der Party nicht zu einem Täßchen Kaffee zu sich nach Hause einladen sollten. Sie könnten ihr dann ihre riesige Sentenzensammlung zeigen. Aber das ist eine andere Geschichte („Irma la Douce“). Kurt Scheel
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