Kurt Scheels Lichtspiele: Kleines Abschiedslied
■ Shakespearesches Hackfleisch und ödipale Scherereien: That's Entertainment!
Zum Abschluß, liebe Leser, überkommt mich naturgemäß eine gewisse Rührung, die ich mir aber keinesfalls anmerken lassen werde. Seit August letzten Jahres führe ich Ihnen nun meine Lichtspiele vor – es war eine schöne Zeit, wenngleich nicht ohne Schwierigkeiten, aber wir haben sie zusammen gemeistert. Denn was wäre der auteur, mag er noch so begabt sein, ohne seine Leser? Ein Nichts, ein Niemand, jawohl!
Damit der Abschied nicht zu melancholisch wird, will ich Ihnen heute die beiden Songs vorsingen, die mich auch in dunklen Stunden immer erheitert und getröstet haben und die das Programm des Kinos, wie ich es liebe, auf den Punkt bringen.
Der ziemlich abgetakelte Musicalstar Tony Hunter – in der deutschen Fassung wird das fünfzigerjahremäßig „Hönter“ ausgesprochen –, gespielt von Fred Astaire, gerät in die Klauen eines hochambitionierten Regisseurs, der aus der netten kleinen Revue-Idee Oscar Levants etwas „mit Bedeutung und Inhalt“ machen will, ein Gleichnis „fürs Heute, fürs moderne Leben: die moderne Version des ,Faust‘!“ – „Die Leute werden sich umbringen vor Lachen“, wirft Oscar sarkastisch ein, aber der Kunstschwadroneur setzt sich durch und perfiderweise mit einem Song, der zur Hymne des Showgeschäfts geworden ist: „Everything that happens in life, can happen in a show, you can make 'em laugh, you can make 'em cry – anything, anything can go: that's Entertainment!“
Und als er dann auch noch so nett und bemüht zu steppen beginnt, wird sogar der skeptische Astaire weich und tanzt mit: „Some great Shakespearean scene, where a ghost and a prince meet, and everyone ends in mincemeat“ – kann man die heiligsten Werte unserer Kultur trefflicher besingen? Durchaus, die griechische Tragödie wird nämlich so abgefeiert: „A gay divorcee, who is after her ex – it could be Oedipus rex – where a chap kills his father, and causes a lot of bother.“ Kürzer und genauer geht's nicht.
„The Band Wagon“ ist kein wirklich guter Film, das Ausspielen Show gegen Kunst, das fällt sogar mir altem Show-gegen-Kunst-Ausspieler auf, hat hier etwas Verklemmtes, das Urteil ist abgekartet – aber „That's Entertainment“ ist ein wunderbarer Song, der die schlichte Wahrheit witzig ausspricht, daß ohne Unterhaltung nichts geht, auch nicht in der Kunst.
Einen winzigen Schritt weiter geht Donald O'Connor in „Singin' in the Rain“. Sein Programm lautet: „Make 'em laugh! Don't you know everyone wants to laugh? My dad said, be an actor, my son – but be a comical one!“
Und dazu tanzt und zappelt er und fällt auf den Hintern, daß es eine Augenweide ist, die reine Anarchie des Komischen, eine akrobatische Feier des Slapsticks: wenn er mit einer Kleiderpuppe auf dem Sofa kämpft oder mit verknoteten Beinen auf dem Boden liegt und mit finsterer Entschlossenheit die Schwerkraft zu überwinden versucht. Und zum Schluß gelingt ihm das sogar in einer verzaubernden Szene: Er läuft tatsächlich zweimal die Wände hoch, mit einem Salto zurück auf den Boden, und als er die dritte Wand des Filmstudios bezwingen will, ist diese aus Papier, und er bricht durch sie hindurch, nicht ohne flugs den Kopf durch das Loch zu stecken und uns noch einmal seine Devise einzuhämmern: „Make 'em laugh! Make 'em laugh! Make 'em laugh!“, aber das tun wir ja schon die ganze Zeit bei dieser in Melodie, Wort und Bewegung komischsten Musicalnummer, die es gibt.
So. Ich hoffe, es ist mir auch heute wieder gelungen, ein bißchen Fröhlichkeit und Farbe in unseren grauen Alltag zu bringen, lieber Leser, vielliebe Leserin – wir können es alle gebrauchen! Ihr Applaus war mir immer der schönste Lohn – fast auch der einzige, wenn ich an das Honorar denke – war nur ein Scherz!
So nehme ich denn meine Augenklappe und meinen Schnauzbart wieder ab: Behalten Sie mich in guter Erinnerung und vielen Dank für den nach meinem Geschmack allerdings etwas früh enden wollenden Beifall. Kurt Scheel
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