Kurt-Eisner-Denkmal in München geplant: Freistaat der Amnesie
München protzt mit Monumenten von Königen und königlichen Ministern. Jetzt soll der Gründer des Freistaats Bayern, Kurt Eisner, endlich ein würdiges Denkmal bekommen.
Wer wissen will, wer zu den offiziellen Helden der bayerischen Demokratie zählt, muss nur einen Blick auf den Promenadenplatz im Zentrum der weiß-blauen Landeshauptstadt werfen. Dort ragt seit zwei Jahren die überlebensgroße und silbrig glänzende Statue des Grafen von Montgelas in die Höhe, der im 18. Jahrhundert Finanzminister des Königreichs Bayern war. Mit der Ehrung des Grafen durch den Freistaat Bayern habe sich ein "lang gehegtes Anliegen" erfüllt, sagte sein derzeitiger Amtsnachfolger Kurt Falthauser anlässlich der Aufstellung des Denkmals.
Mit dem Begründer des Freistaats selbst, dem ersten Ministerpräsidenten Bayerns, hat die gegenwärtige Staatsregierung hingegen offensichtlich kein Anliegen der Ehrung, das es zu hegen gebe. An Kurt Eisner, der 1919 wenige Schritte vom protzigen Montgelas-Denkmal ermordet wurde, erinnert nur eine Tafel am Boden, über die viele achtlos hinweggehen. Wo die Staatsregierung die Erinnerung an den Freistaatsgründer nicht pflegen will, springt nun der Münchner Stadtrat ein. Anträgen von Grünen und SPD entsprechend hat er jetzt die Errichtung eines "würdigen Denkmals" in der Innenstadt beschlossen, es soll bis 2009 auf einer Grünfläche am Oberanger in der Nähe der SPD-Zentrale errichtet werden.
Wer sich in der Landeshauptstadt auf Eisners Spurensuche begibt, tut sich schwer. Vielleicht liegt es daran, dass die Bayern ihm nie verziehen haben, dass er in der Nacht zum 8. November 1918 die Monarchie abgeschafft und den bayerischen Freistaat ausgerufen hatte: "Bayern ist fortan ein Freistaat." Eisner, 1867 als Sohn eines jüdischen Fabrikanten in Berlin geboren, war Journalist, Schriftsteller und Politiker der SPD und später deren Abspaltung USPD. Von 1907 bis 1910 war er Chefredakteur der sozialdemokratischen Fränkischen Tagespost, zog dann nach München und arbeitete für die SPD-Zeitung Münchner Post. Er pflegte auch den Kontakt zum Münchner Künstler- und Intellektuellenmilieu. Seit 1917 war er Vorsitzender der Münchner USPD und organisierte 1918 den Streik der Münchner Munitionsarbeiter.
In der reichsweiten Novemberrevolution führte Eisner im Anschluss an eine Massenkundgebung auf der Theresienwiese einen Demonstrationszug in die Innenstadt an und rief auf der ersten Sitzung der Arbeiter- und Soldatenräte in der Gaststätte Mathäser die Republik Bayern aus. Das Königshaus der Wittelsbacher wurde für abgesetzt erklärt. Rund 100 Tage lang hatte Eisner das Amt des (ersten) bayerischen Ministerpräsidenten inne. Er führte den Acht-Stunden-Arbeitstag und das Frauenwahlrecht ein, das wirtschaftliche Privateigentum blieb unangetastet. Sein Eingeständnis einer deutschen Kriegsschuld machte ihn freilich im Militär und bei nationalistischen Kreisen zum Feind und Verräter. Bei den ersten Landtagswahlen am 12. Januar 1919 erlebte seine Partei, die USPD, eine vernichtende Wahlniederlage.
Am 21. Februar 1919 verließ Eisner, seine Rücktrittsrede in der Tasche, das Außenministerium und machte sich auf den Weg zum Landtag. In der Promenadestraße (heute Kardinal-Faulhaber-Straße) wurde er von dem völkisch-nationalistischen Leutnant Anton Graf von Arco auf Valley mit zwei Schüssen erschossen. Sein Begräbnis am 26. Februar 1919 wurde zu einer machtvollen Demonstration der Arbeiterbewegung, an der rund 100.000 Menschen teilnahmen - Kurt Eisner ist zum Märtyrer der Novemberrevolution geworden. An seinem Grab sprachen Minister der Staatsregierung und Reichtagsabgeordnete, anstelle eines Grabsteins wurde 1922 ein Denkmal für die Toten der Revolution errichtet.
Für den Historiker Bernhard Grau, der eine Biografie des ersten bayerischen Ministerpräsidenten verfasst hat, ist Eisner nicht nur die "zentrale Figur bei dem Sturz der Monarchie in Bayern", sondern eine historische Person von überregionaler Bedeutung, die weit außerhalb Bayerns auf Aufmerksamkeit stößt. Vom Charakter her sei Eisner, Journalist und Schriftsteller, von "unangepasster Natur", ein "unabhängiger Geist" gewesen, der "gerne gegen Autoritäten aufbegehrt" habe. Vielleicht ist das auch einer der Gründe, warum sich die Würdigung des Politikers in Bayern als "Hängepartie" gestaltet, wie der Historiker es ausdrückt. In Bayern bleibt Kurt Eisner eine Art politischer Gottseibeiuns, dem man nur widerwillig unter Ächzen und Stöhnen einen Erinnerungsort widmet. "Der Freistaat", sagt Siegfried Benker, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Münchner Stadtrat, "hat sich nie um die Person Eisners gekümmert. Man leugnet den Zusammenhang mit der Räterepublik."
Die Nationalsozialisten ächteten 1933 den Begründer der bayerischen Demokratie und befahlen die Verlegung der Asche des "Juden Eisners" vom Ostfriedhof auf den Neuen Jüdischen Friedhof im Norden der Stadt, wo sie zusammen mit der Urne Gustav Landauers beigesetzt wurde. Das Grab gibt es heute noch. Das Denkmal für die Toten der Novemberrevolution auf dem Ostfriedhof wurde auf Anordnung des Münchner NS-Oberbürgermeisters zerstört.
Heute erinnert an Kurt Eisner eine Bodenplatte in der Kardinal-Faulhaber-Straße, sie zeigt die Umrisse eines am Boden liegenden Körpers und wurde 1989 nach einer heftigen und kontroversen öffentlichen Debatte angebracht. Der CSU-Landtagsabgeordnete Richard Hundhammer äußerte damals, Eisner habe mit einem "Haufen Linksradikaler, Kommunisten und Anarchisten" die Macht an sich gerissen, das Attentat auf ihn sei das Signal zur Ausrufung der Räterepublik gewesen. Der Vorsitzende des König-Ludwig-Klubs, Hannes Heindl, sah das geplante Denkmal "als eine Zumutung und Herausforderung für jeden Altbayern" und wollte lieber ein Kardinal-Faulhaber-Denkmal oder ein König-Ludwig-Denkmal haben. Der CSU-Stadtrat Gerhard Bletschacher kündigte das Veto seiner Fraktion an, da "Politiker, die Gewalt propagiert haben, nicht auch noch durch ein Denkmal verherrlicht werden dürfen". Diese Bodenskulptur am Ort der Ermordung findet Siegfried Benker heute hingegen "beschämend und dem Wirken Kurt Eisners nicht angemessen". In einem Antrag an den Stadtrat fordert der Grüne, dass bis zum 90. Jahrestag der Ermordung Eisners am 21. Februar 2009 ein "würdiges Denkmal" errichtet wird. Ähnlich der Antrag von Mitgliedern der SPD-Stadtratsfraktion: Während in München zahlreichen Königen gedacht werde, fehle es an einem Denkmal an prominenter Stelle für den "Demokraten Eisner". In der Tat: Während sich der Blick zu den erhobenen Denkmälern König Ludwigs I., des Grafen Rumford und des Grafen Montgelas nach oben richten muss, wird auf den ermordeten Ministerpräsidenten herabgesehen.
Dieses Schicksal teilt er in München mit anderen: mit den beim Hitler-Putsch an der Feldherrnhalle getöteten Polizisten Friedrich Fink, Nikolaus Hollweg, Max Schobert und Rudolf Schraut. Sie hatten sich am 9. November 1923 dem Nationalsozialisten entgegengestellt. Die Gedenktafel für die vier Polizisten ist in das Pflaster vor der Feldherrnhalle am Münchner Odeonsplatz eingelassen - das Land Bayern als Eigentümer des Gebäudes verwehrte aus "Denkmalschutzgründen" dort die Anbringung einer Tafel. Auch für den Hitler-Attentäter Georg Elser blieb am Gasteig - dem Ort, an dem früher der Bürgerbräukeller stand - nur eine Gedenktafel im Boden. An die Mitglieder der Weißen Rose erinnern an der Münchner Universität ebenfalls Tafeln im Boden. Die Opfer rechter Gewalttäter - sie werden sozusagen mit Füßen getreten. "Die Praxis der Bodengedenktafeln rückt die derart Geehrten zwischen Erinnern und Vergessen, die Denkmäler gewinnen Alibifunktion", heißt es dazu in einem Aufsatz der kritischen Zeitschrift Geschichte quer.
Eine weitere Gedenkstätte für Kurt Eisner findet sich in dem Neubau, der heute anstelle der einstigen Bierburg Mathäser errichtet wurde - sie erinnert an die Ausrufung des Freistaats. Ein würdiges Denkmal ist das freilich auch nicht, sondern eine unscheinbare Stele in einer Ecke der dortigen Shopping-Meile, schon mal verdeckt von einer Reklametafel "Zum Biergarten" und in diesem kommerziellen Ambiente völlig fehl am Platze.
Schließlich gibt es noch die Kurt-Eisner-Straße in Neuperlach - eine der monotonen Neubausiedlungen aus den 70er-Jahren. Dort, weit draußen, befinden sich die Straßen, die nach den manchen Kreisen in Bayern als politisch verdächtig Geltenden benannt sind, nach dem Schriftsteller Oskar Maria Graf etwa oder gar Karl Marx und Friedrich Engels. Im Stadtzentrum selbst, direkt vor der Bayerischen Staatskanzlei, findet sich hingegen der historische Bezugspunkt der bayerischen Staatsregierung: der Franz-Josef-Strauß-Ring. Dem Nachfolger Kurt Eisners als Ministerpräsidenten von 1978 bis 1988 ist auch der Münchner Großflughafen gewidmet - er bleibt das historische Gravitationszentrum der seit Jahrzehnten regierenden CSU.
Doch in der bayerischen Landeshauptstadt, die, mit kurzer Unterbrechung, wiederum seit Jahrzehnten von den Sozialdemokraten regiert wird, ist es nun beschlossene Sache, dass der erste Ministerpräsident zum 90. Todestag ein würdiges Denkmal bekommt. Damit wird dem Denkmal für den monarchistischen "Begründer des modernen Bayerns" (dem Grafen Montgelas) ein Gegenstück in Form eines Denkmals für den Begründer des demokratischen Bayerns erwachsen. Ob die bayerische Staatsregierung das Eisner-Gedenken mit einem Denkmal für Franz Josef Strauß kontern wird, ist ungewiss.
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