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Kurioses vom Golf-Turnier in TokioOlympischer Passpoker

Die Golf-Goldmedaille von Xander Schauffele hübscht die US-Bilanz auf. Fast wäre der Mann mit den schwäbischen Wurzeln fürs deutsche Team gestartet.

Materialtest: US-Golfer Xander Schauffele beißt auf seine Goldmedaille Foto: Adam Davy/dpa

J a, in Tokio gehörte zu den Nebensportarten wie Pferdetanz und Gewichterecken auch das Golfspiel, zum zweiten Mal nach 2016 in Rio. Hat aber kaum wer mitbekommen. Gab ja auch viel olympischeren Sport bei den Inszenierungsspielen für die weltweiten Wohnzimmer.

Deutsche waren auch dabei, die eine wurde 40. von 60, die andere auch. Caroline Masson heißen sie und Sophia Popov. Da gewann Nelly Korda für die USA, Tochter des ehemaligen tschechischen Tennisprofis Petr Korda, 1998 Sieger der Australian Open. Bei den Männern schwang sich US-Profi Xander Schauffele zum Gold.

Tja, und der wäre fast für Deutschland gestartet statt der damenähnlich im Mittelfeld platzierten Max Kieffer und Hurly Long. Aufmerksam schrieb die Nationalpostille Bild vor der Schlussrunde: „Deutschland winkt halbe Goldmedaille.“ Der Spiegel meldete tags darauf Teilvollzug: „Ein bisschen Gold fürs Schwabenland.“

Die Geschichte dahinter ist einigermaßen kurios. Schauffele, 27, besitzt neben dem US-Pass auch einen deutschen, wegen seines Vaters Stefan, der in Stuttgart geboren ist und mit 20 nach Kalifornien umzog. Urgroßvater Richard „Molly“ Schauffele hat in Stuttgart sogar bis heute einige Prominenz. Er kickte in den 20er Jahren als Mittelläufer beim VfB, war dann erfolgreicher Leichtathlet für die Kickers, sogar als Kugelstoßer für Olympia 1928 qualifiziert (dann aber verletzt), nach dem Krieg Kickers-Präsident und CDU-Funktionär. Bis heute heißt im Olympiastützpunkt Stuttgart die Molly-Schauffele-Sporthalle nach ihm.

Plötzlich die neue deutsche Nummer Eins

Aber Pass reicht nicht, und so wurde sein Urenkel Xander 2017 völlig überraschend Mitglied in der deutschen PGA, der Professional Golfers Association of Germany. Schlagartig war er die neue deutsche Nr. 1, weit vor Martin Kaymer, Marcel Siem oder Bernhard Langer. Dass Xander kaum „Guten Tag“ sagen kann, spielte überhaupt keine Rolle.

Wichtig war der strategische Hintergrund: Sollte er sich, Golfs Rio-Premiere noch im Sinn, trotz allen Talents und ersten Erfolgen auf der Profitour, nicht gegen die monströse US-Konkurrenz durchsetzen, dann würde er eben für Daddys Germans putten. Der umtriebige Vater, Schwungtrainer und Manager des Sohnes hatte alles ausgeheckt. Golfdeutschland war plötzlich ein verheißungsvoller Medaillenkandidat in den Schoß gefallen.

Der Verband hätte ihn wohl auch zur Nominierung nach Tokio vorgeschlagen. Ja, und wieso dann doch für die USA? Er war so heimlich gegangen, wie er gekommen war: „Xander Schauffele ist Ende 2020 aus dem Verband ausgetreten“, schreibt die PGA der taz, „Herr Schauffele hatte sich bereits im Mai 2020 entschieden, beim President's Cup für die USA zu starten – damit hatte er sich endgültig auf die USA als seine Starter-Nation bei Wettbewerben wie auch dem Ryder Cup oder Olympia festgelegt.“ Denn: „Hier ist ein Hin-und-Her-Wechseln nicht möglich.“ Schade, das wäre was gewesen: in Tokio den Landsleuten das Gold wegschnappen und dann Ende September mit ihnen im leidenswichtigen Mannschaftsevent Ryder Cup das Team Europa verhauen. Oder umgekehrt als US-Golfer für Europa spielen gegen seine Heimat.

Und, ja, die Pandemie spielte auch mit. Anfang 2020 war Schauffele noch jenseits der Top 10. Keine Chance für Tokio zum Ursprungstermin. Mittlerweile ist er 4. der Weltrangliste. Armes Deutschland: ist also durch Covid um einen Olympiasieg gebracht. Und auch China darf klagen: Schauffele für Deutschland, und man wäre mit den USA gemeinsam auf Platz 1 des Goldrankings.

Aus Golfers Abc der Vorurteile, heute U wie Unsport: „Dieses Bällegeschubse soll Sport sein? Albern!“ Gegenfrage: Was ist Darts, Schach, Formel 1? Golf beansprucht maximale Koordination von so vielen Muskelgruppen wie kaum eine andere Disziplin. Eine Runde über 4–5 Stunden ist ein Marsch von 15.000 Schritten über gut 10 Kilometer, bergauf, bergab, samt Tasche. 1.200 Kilokalorien bleiben zurück. Ersatzweise kann man auch anderthalb Stunden joggen.

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Bernd Müllender
Sohn des Ruhrgebiets, Jahrgang 1956, erfolgreich abgebrochenes VWL- und Publizistikstudium, schreibe seit 1984 für die taz – über Fußball, Golf, Hambacher Wald, Verkehrspolitik, mein heimliches Lieblingsland Belgien und andere wichtige Dinge. Lebe und arbeite als leidenschaftlich autoloser Radfahrer in Aachen. Seit 2021 organisiere und begleite ich taz-LeserInnenreisen hierher in die Euregio Maas/Rhein, in die Nordeifel und nach Belgien inkl. Brüssel. Bücher zuletzt: "Die Zahl 38.185" - Ein Fahrradroman zur Verkehrswende (2021). "Ach, Aachen!" - Textsammlung aus einer manchmal seltsamen Stadt (2022).
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