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Kurdische Großmutter

■ Ein Gespräch mit dem türkischen Ministerpräsidenten Özal

Ein wortgewaltiger Märchenerzähler sitzt mir gegenüber: der türkische Ministerpräsident Turgut Özal. Er habe die Türkei wie eine Zitrone ausgepreßt, behauptet der sozialdemokratische Oppositionsführer Erdal Inönü. Angesprochen auf den Vergleich, ist Özal um eine Antwort nicht verlegen. „Die Zitrone ist eine Frucht, die ausgepreßt werden muß, um in ihren Genuß zu kommen.“ Der ehemalige Chef des Unternehmerverbandes der Metallindustriellen hat auch als Ministerpräsident das genußsüchtige Auspressen nicht verlernt. Als vor wenigen Monaten die Arbeiter der Aluminiumwerke Seydisehir streikten, frohlockte er: „Dann machen wir den Betrieb einfach dicht. Der ist sowieso unproduktiv.“ Als er bei dem Pressegespräch auf seine Austeritätspolitik und auf die verbotene Gewerkschaft DISK angesprochen wird, antwortet er kurz und bündig: „I love the workers“. Der internationale Ruf der Türkei habe sich erheblich verbessert, bei den Bankers in den USA genieße das Land hohes Ansehen. Auf die Frage nach dem wirtschaftspolitischen Entwicklungsstand der Türkei verweist er, selbstbescheiden lächelnd, auf Helmut Kohl. „Er sagte mir folgendes: Zu Beginn des Jahrhunderts war die Türkei der kranke Mann Europas. Gegen Ende unseres Jahrhunderts ist es eines der vielversprechendsten Länder Europas.“ Gereizt reagiert er auf Fragen zur Situation der Mensch Hinrichtungen in der Türkei anstehen. „Ich glaube, in den vergangenen vier Jahren haben wir zwei bestätigt. Wir werden sehen. Die Todesstrafe ist nicht abgeschafft und wird auch nicht abgeschafft werden.“ Es existiere keine kurdische Minderheit in der Türkei, niemand kenne die Herkunft der einzelnen Bürger. „Ich bin in Malatya gebürtig. Vielleicht war meine Großmutter kurdischer Herkunft. Ich weiß es nicht. Es ist interessant“, so Özal, „daß Terroristen unter sich türkisch und nicht kurdisch sprechen.“ Ursache des Terrors seien nicht Minderheitenprobleme, sondern etwas ganz anderes: „Das sind Marxisten. Marxistische Guerillas, die vom Ausland unterstützt werden.“ Fließend geht er von den Reizthemen zu seinem Metier über, dem Gewerbe des Vielversprechens: Von ökonomischem Wohlstand, vom Touristenparadies, vom Sprung ins neue Zeitalter ist die Rede. öe

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