piwik no script img

Kurden demonstrieren in der TürkeiBelagerungszustand in Diyarbakir

Kurden demonstrieren im Südosten der Türkei für die Freilassung von PKK-Chef Öcalan. Die Polizei kesselte den Protest ein: 40 Personen wurden verletzt, 70 festgenommen.

In Diyarbakir eskaliert es häufiger: Kurdische Jungen werfen Steine (Archivfoto). Bild: reuter

ISTANBUL/DIYARBAKIR taz | Zu schweren Auseinandersetzungen kam es am Samstag im Südosten der Türkei bei einer Demonstration in Diyarbakir, die die kurdische Partei BDP unter dem Motto „Freiheit für Öcalan“ durchführen wollte. Es gab mehr als 40 verletzte Demonstranten und über 70 Festnahmen. Die Demonstration war am vergangenen Montag vom Gouverneur in Diyarbakir verboten worden. Bereits einen Tag später hatte die BDP erklärt, die Versammlung finde auf jeden Fall statt. Polizei und Gendarmerie zogen 6.000 schwer bewaffnete Einsatzkräfte zusammen, Diyarbakir glich einer Stadt im Belagerungszustand.

Schon in den Morgenstunden kam es um das Parteigebäude der BDP zu kleineren Scharmützeln. Das Gelände wurde von hunderten Polizisten, teils mit Maschinengewehren bewaffnet, umringt. Der Versuch von mehreren Parlamentsabgeordneten der BDP, einen Demonstrationszug zu starten, wurde sofort unterbunden. Gemeinsam mit dem kurdischen Bürgermeister von Diyarbakir, Osman Baydemir, hämmerten Abgeordnete hilflos mit bloßen Händen auf die Polizeisperren und wurden mit Wasserwerfern vertrieben.

Diese Blockade der Polizei erschien wie der Startschuss zur Eskalation: Im gesamten Stadtgebiet wurden Barrikaden errichtet und Autoreifen angezündet. Im Stadtteil Baglar, wo überwiegend kurdische Binnenflüchtlinge leben, ging die Bevölkerung massiv gegen die Polizei vor: „Seht her, die wollen Tote sehen“, rief eine alte Frau aufgebracht. „Das ist Faschismus pur – wo ist denn hier nun die EU?“ Autos wurden angezündet; kurdische Militante schossen mit einer Pistole in Richtung Polizei. Die Antwortet war ein flächendeckender Beschuss mit CS-Gas, wobei viele verletzt wurden. Kurze Zeit waren nur noch Polizisten und Steine werfende Jugendliche auf der Straße.

Gedacht war die Demonstration als Protest gegen die bereits Monate andauernde Isolation des auf der Gefangeneninsel Imrali inhaftierten PKK-Chefs Abdullah Öcalan. Seine Anwälte werden seit Ende 2011 nicht mehr zu ihm gelassen, auch sein Bruder durfte ihn nicht mehr besuchen. Die Isolation Öcalans heizt seit Längerem eine heftige Debatte über das Schicksal des Kurdenführers an. Es ist bekannt, dass Vertreter des türkischen Geheimdienstes MIT bis letzten Sommer mit Öcalan darüber verhandelten, unter welchen Bedingungen er bereit sei, die PKK aus dem Gefängnis heraus aufzurufen, die Waffen niederzulegen.

Immer neue Versuche

Öcalan forderte Hausarrest und bessere Kommunikation mit seinen Anhängern. Offensichtlich war ein Teil der aktiven PKK mit ihrem inhaftierten Führer jedoch nicht einverstanden und startete neue schwere Angriffe auf Militär und Polizei, die bis heute andauern.

Trotzdem gibt es immer wieder Versuche, Verhandlungen über einen Waffenstillstand zu reaktivieren. Vor zwei Wochen unternahm die kurdische Politikerin Leyla Zana einen Vorstoß, den sie offenbar nicht mit der BDP-Spitze abgesprochen hatte. Ministerpräsident Tayip Erdogan empfing sie, anschließend deutete der stellvertretende Regierungschef Bülent Arinc an, ein Hausarrest sei nicht völlig undenkbar.

Obwohl Arinc gleich einen Rückzieher machte, geht seitdem das Gerücht um, Öcalan sei in einem Gästehaus der Regierung in Bursa. Doch während in Diyarbakir demonstriert wurde, erklärte Erdogan bei einer Veranstaltung in Igdir, es werde keine Verhandlungen geben, solange die PKK „weiter mordet“. Am Samstag griff die PKK in Van einen Polizeikonvoi an und verwundete 15 Polizisten schwer.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • R
    Ratze

    Es ist mir ein völliges Rätsel warum dieser Dreckskerl Öccalan nicht vor dem Atatürk Mausoleum an den Galgen gebracht worden ist.

  • H
    Hermann

    Die eigentlichen Faschisten sind inzwischen die PKK Kurden selber.Sie greifen fast täglich unschuldige an,erpressen Gelder und gehen ihren schmmutzigen Geschäften mit dem Tod nach.Alle Dialog Bemühungen werden von seiten der menschenverachtenden PKK abgelenht. Die Türken können von Glück sagen dass nicht alle Kurden der PKK anhängen.Schaut doch mal auf die Bilder.Diese Feigen Terroristen geben Kindern Geld damit diese die polizei mit Steinen bewerfen. Das die Feige PKK sich hinter Kinder versteckt ist nichts neues.Wir in Deutschland sollten die PKK nicht mehr dulden und alle ausweisen.

  • H
    Hkay

    @Heval Bahoz:

     

    Sehr objektiv Frau Bahoz.:-O

    Ich, als Deutscher mit türkischen Wurzeln kann über ihren Kommentar nur lachen.

    Zunächst einmal führt der türk. Staat keinen Krieg gegen die kurd. Bevölkerung, sondern gegen die PKK, die eine von der EU und USA anerkannt terroristische Organisation ist.

    Ich verstehe ihren Unmut über die Regierungen vor der AKP, aber bestimmt nicht ÜBER die AKP. Denn sie ist seit Gründung der türk. Republik die einzige Partei die den Kurden ein Haufen Rechte eingeräumt. Angefangen von einem kurd. TV-Sender bis hin zu weitreichenden Investitionen in den östlichen Gebieten der Türkei.

    Das ist der größte Beweis dafür, dass die PKK überhaupt keinen Frieden will. Denn das würde heißen, dass sie keine Geschäfte mehr machen könnte. Wer soll denn dann die Drogen-,Menschen-, Waffen usw. nach Europa schmuggeln???

    Die AKP Regierung hat zudem letztes Jahr geheime Friedensgespräche zwischen der Regierung und der PKK angestrebt. Und jetzt meine Frage?

    Wer ließ denn die Geheimverhandlung platzen und machte sie öffentlich um die AKP-Regierung unter öffentlichen Beschuss zu bringen??? DIE PKK nehme ich an Frau Freiheitskämpferin.

    Ich bin absolut kein Faschist, sondern Pazifist. Aus diesem Grund würde ich mich ein friedliches miteinander in der Türkei wünschen, wo Türken, Kurden und alle anderen ethnischen Gruppen die gleichen Rechte haben.

    Aber ein eigenes LAND können sie vergessen. Das gabs noch nie, das gibt es nicht und wird es auch nie geben.

    P.S. Be objectiv!

  • V
    Vin

    Das was in der Türkei seit Jahren praktiziert wird, ist eine Systematische Ausrottung der Kurdischen Identität. Menschliche Opfer, in erster Linie Kurden, inbegriffen. Ich verstehe nicht warum das kurdische Volk sich nicht vereint gegen dieses faschistisch und menschenverachtendes Millitärregime zur Wehr setzt, notfalls mit Waffengewalt.

     

    Über Jahre hinweg versuchen die Kurden erfolglos, mit Friedensbewegungen, Demokratisierungsversuchen das Millitärregime zu mehr Toleranz und Menschlichkeit zu bewegen.

     

    Das Ergebnis dieser Versuche, noch mehr Gewalt, noch mehr Unterdrückung. Politische Versuche werden wie hier aktuell in Diyarbakir einfach mal mit enormer Gewalt erstickt.

     

    Die Türken verstehen nur die Sprache der Gewalt. Ich wünsche mir, dass die Kurden sich ähnlich wie in Syrien organisieren und mit Waffen sich gegen das Regime erheben. Steine alleine bringt kein Regime zum Nachdenken oder Handeln. Der Kampf sollte mal aus den kurdischen Bergen in die Städte verlagert werden dann bekommt die Weltöffentlichkeit endlich mit, welch schmutziger Kampf seit Jahrzehnten von Seiten der Türkei gegen das kurdische Volk geführt wird.

  • B
    bull

    Damit ist für alle Türken klar sichtbar was dıe BDP für eine Partei ist.

  • HB
    Heval Bahoz

    Es freut mich sehr, dass dieser Artikel der einzige ist, indem nicht steht, dass die Demonstranten die Ausloeser waren. Anstatt, dass die Regierung ein legitimes Recht, eines Volkes gewaehrleistet, unterbinden sie jegliche Schritte zur demokratisierung ihres eigenen Staates.

    Aber auch hier sind dem Autor einige Fehler "unterlaufen". Zunaechst mal, befindet sich Herr Oecalan seit dem 27. Juli 2011 in voelliger Isolationshaft und ihm wird jeglicher Kontakt zur Aussenwelt verwehrt.

    Es ist falsch zu bahaupten, dass sich fuehrende PKK-Kader sich mit Herr Oeclans Schritten nicht identifizieren koennen und somit anders handeln. Die AKP-Regierung hat jeglichen Weg zur diplomatischen und friedlichen Loesung versperrt und setzt auf die gleiche Politik wie in den 90er-Jahren. Auf so eine Weise kann kein Frieden hergestellt werden. Als Reaktion auf diese Verleugnuns- und Vernichtungspolitik, seitens der AKP-Regierung, treten die Guerillakraefte der PKK offensiver auf um somit ihre Gewaltbereitschaft zu beweisen. Die PKK steht heute unter indirekter fuehrung Herr Oecalans. Fuehrende Kader handeln auf Oecalans Zeichen.

    Seit den Parlamentschaftswahlen 2011 fuehrt die AKP-Regierung einen bitteren Kampf gegen das kurdische Volk. Am 14. Juli 2012 wurde bewiesen, dass sich das kurdische Volk nicht dem AKP Faschismus, Kolonialismus und Imperialismus. Die Zeiten der Angst und Furcht sind vorbei. Eine neue Aera hat angefangen die sich fuer das kurdische Volk entscheiden wird.

    Die AKP-Regierung muss sich deutlich machen, dass Herr Oecalan eine Schluesselrolle fuer diesen Konflikt ist und sie, wenn, dann mit ihm, verhandeln muss.

    Desweiteren wird das kurdische Volk in Europa nicht tatenlos zusehen, wie ihre Politiker von tuerkischen Sicherheitskraeften, krankenhausreif geschlagen werden und ihr Brueder und Schwestern umgebracht werden. Dieser Konflikt wird schwere Folgen auch fuer Europa haben.

  • C
    Cegerxwin

    Dafür gebührt Respekt! Sehr objektiv sehr unparteiisch. Danke an die Journalisten.

    Mich hat das Bild des von angeblichen Sicherheitskräften umzingelte junge der angefesselt und mitten in der Öffentlichkeit ausgezogen und gefoltert wurde. Auch die gezielten Angriffe mit schärfer Munition seitens der AKP Beamten auf jugendliche und Zivilisten ist kein Ereignis was man unbeachtet lassen sollte. Wenn sie an Matetialien interessiert sind ich werde ihnen gerne einige Quellen geben! Für ein freies Kurdistan gegen Faschismus!

  • N
    Neo

    Ist ja niedlich: "„Das ist Faschismus pur – wo ist denn hier nun die EU?“ Autos wurden angezündet; kurdische Militante schossen mit einer Pistole in Richtung Polizei."

     

    Wer hier wohl die Faschisten sind. Die Kurden mit Waffen und Brandbomben oder die Polizei die mit nur CS-Gas auf so etwas Faschistoides reagiert?

     

    Und dann auch noch der Witz von Gottschlich und Hiller, den Terrorchef Öcalan als "Kurdenführer" hinzustellen, als wäre Osama bin Laden der "Moslemführer" gewesen. Bei der letzten Parlamentswahl haben fast 75% der Kurden(!)ihre Stimme der AKP also Erdogan gegeben und nicht der kurdisch-rechtsextremen BDP, dem politischen Arm der faschistischen Terrororganisation PKK, die jeden Tag unschuldige Kurden umbringt.

  • TG
    Timo Geb..

    Unglaublich... dass eine terrororganisation "friedlich" demonstriert.. Man sieht hier eindeutig, dass sie nur den Gesetzgeber provokativ angreifen.. nimmt euch die Berber im arabischen Länder als Vorbild.. friedlich heißt nicht dass man unschuldige menschen tötet.. die pkk sollte lieber die waffen niederlegen..