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KunstinstallationEine Cousine wird zerlegt

Wo Wort und Welt unpassend aufeinander prallen: In seiner Installation "City as a Map (of Ideas)" überzieht Matt Mullican den Hamburger Stadtplan mit enzyklopädischer Ordnung - und macht aus versifften Badezimmern Orte der Wahrheit.

Die Fotografien eines Badezimmers in St. Pauli-Süd erhalten in seiner neuen Ordnung die Zuschreibung: "Symptome von Vitaminmangel". Bild: Mullican

Ordnung ist das wirksamste Werkzeug, um Unsinn zu produzieren. Es sei denn, man greift auf ein ganzes Ordnungssystem zurück. Oder noch besser: zwei Systeme, deren wechselseitige Kontaminierung einen Blicke ins Chaos garantiert. Wörterbuch und Federmesser, Stadtplan und Lexikon - "auf die Verbindung kommt es an", hatte der Dadaist Hugo Ball schon 1916 die Grundlagen seriöser Nonsense-Produktion erklärt.

Im ersten Dada-Manifest war das, es ging um Revolte - gegen Bürgertum, Weltkrieg, Werte- und Kunstsystem. In der Bremer Gesellschaft für Aktuelle Kunst lässt sich derzeit eine verwandte Erfahrung machen: Ohne Lust am Widerspruch wäre es wohl nie zu Matt Mullicans "City as a Map (of Ideas)" gekommen, einer monumentalen Konzept-Installation, an der er von 2003 bis 2008 gearbeitet hat.

Was nicht heißt, dass sie vollendet wäre. Es gibt Ideen für eine Fortsetzung, den Sprung vom Detail zurück in die Stadt, die in diesem Fall Hamburg heißt. Weshalb Bremen, das der immer schon bedeutenderen Cousine in nie erlöschender Hassliebe verbunden ist, der optimale Ausstellungsort scheint: Schritt für Schritt zerlegt Mullican die stolze Metropole, kein Straßenzug, kein Haus, das seine Bedeutung behielte. Und das alles, weil der Hamburger Kunstverein 2003 Mullican für eine Gruppen-Ausstellung gewinnen wollte.

Matt Mullican

Noch bis 15. November 2009 zeigt die Bremer Gesellschaft für Aktuelle Kunst (GAK) ein einziges, allerdings problemlos raumfüllendes Werk: "City as a Map (of Ideas)" von Matt Mullican.

Mullican, 1951 im kalifornischen Santa Monica geboren, lehrt an der Hochschule für bildende Künste Hamburg. Er lebt in New York und Berlin. Mit mehr als 20 Einzelausstellungen in den vergangenen zehn Jahren - darunter in der Tate Modern, London, dem Museum of Modern Art, Oxford und dem Museion Bozen - gehört er zu den gefragtesten Künstlern der Gegenwart.

Die Ausstellung ist geöffnet dienstags bis sonntags 11 bis 18 Uhr, donnerstags bis 21 Uhr in der GAK, Teerhof 21, Bremen.

Mullican, muss man wissen, ist ein very big name der Gegenwartskunst, das belegen unter anderem Soloperformances in der Tate Gallery - unter Hypnose! - und zig Werke in wichtigen öffentlichen Sammlungen. Was ihn im Grunde zwei Nummern zu groß für die kleine Bremer GAK machen würde - hätte die nicht in Künstlerkreisen einen so legendär guten Ruf.

Auch 2003 war der 1951 in Santa Monica geborene Künstler über den Karriereschritt der Gruppen-Ausstellungen längst hinaus und ohne Risiko in der Lage, renommierte Kunstvereine zu foppen - im Dienst am eigenen Ansatz. Klar hätte sich zum vorgegebenen Thema, "mapping the city", eine subjektive Kartografie Hamburger Taxistände oder eine Typologie des hanseatischen Fischbrötchenstands als Hommage an Hamburg anfertigen lassen - wers mag. Mullican aber mochte nicht. Das Sujet hatte er schon 15 Jahre zuvor beackert. Und abgehakt.

Also hat er stattdessen "the reverse, the exact opposite" von dem getan, was erwartet wurde: Statt aus Hamburg ein überraschendes oder irgendwie verqueres Ordnungssystem herauszudestillieren, hat er dem konventionellen Stadtplan ein neues übergeholfen: das einer systematischen Enzyklopädie.

So weit, so simpel. Auch sind die Zutaten alles andere als exquisit. Das Lexikon ist eins aus dem Random-House-Verlag, das die Mullicans zu Hause halt so hatten. Als Kartenmaterial fungiert zunächst ein handelsüblicher Plan, man tippt auf Falk, dann die topografischen Blätter vom Katasteramt. Und mit bedruckten gelben Schildchen hat der Künstler die Kapitel- und Unterüberschriften, die Lemmata und gefetteten Stichworte in diese formalisierten Luftaufnahmen eingeklebt. Nonsens? Aber ja. Ein bloßer Witz? Eher hunderte.

Überall, wo unpassend Wort und Welt aufeinander prallen, ergibt sich Komik: Heiligengeistfeld und Millerntor-Stadion überschrieben mit "Fauvism and Expressionism", das hat was, ebenso wie der Eintrag "How the Brain works" - also: "wie das Gehirn funktioniert" -, der über der klassischen Puff-Meile charmanten Hintersinn entfaltet. Und Hamburg-Erfahrene können so etwas wie einen nostalgischen Stolz entwickeln, wenn sie entdecken, dass der Beginn volkssprachlicher Literatur dort angesiedelt ist, wo sie gelebt, geliebt, gearbeitet haben.

Aber diese Komik, die manchmal wirkt, als funkele sie vor Bosheit - etwa wenn die Michaeliskirche vom Schlagwort "Bacteria and viruses" überklebt wird -, ist nicht geplant, sondern fremdbestimmt. Mullican folgt stur dem Programm, das die Ordnung des Nachschlagewerks vorgibt. Und in fast manischem Ernst treibt er die Zwangsfusion voran, dekliniert sie durch bis in den Querschnitt eines einzelnen Hauses, in den Grundriss von dessen Dachgeschoss, zoomt bis in ein einzelnes Zimmer und landet im Makro-Bereich: "Wir propagieren den Stoffwechsel", hatte Hugo Ball einst proklamiert. Mullican proklamiert nichts, gelangt aber zu ähnlichen Ergebnissen. Die Fotografien eines Badezimmers in St. Pauli-Süd erhalten in seiner neuen Ordnung die Zuschreibung: "Symptome von Vitaminmangel".

Jeder der vorhandenen Gegenstände wird, per Fettschreiber mit einem Hauptwort aus dem entsprechenden Abschnitt - ja was eigentlich? Identifiziert? Betitelt? Zu seiner Allegorie gemacht? Bis endlich das angebrochene Rasierklingen-Behältnis alias "Symptome des Vitamin C (Ascorbinsäure)-Mangels: Muskelschwäche" aus dem Bild heraustritt. Auf einem Podest drapiert wie ein heiliger Fetisch, markiert es einen Schlusspunkt der Ausstellung. Und einen Richtungswechsel des Werk-Prozesses: Was soll bloß aus dem guten alten Hamburg werden, wenn das so weiter gehen soll, wenn Mullican übergriffig wird, in die Wirklichkeit der Straßenzüge, Parks und Plätze eindringt, sie umdeutet? Und wird er von dort, in einer prinzipiell unendlichen Spirale den gleichen Parcours erneut durchlaufen?

Aber das führt in die Irre. Es geht nicht um Hamburg. Ein bloßer Zufall, dass gerade diese Stadt Objekt ist der als dramatische Sturzfahrt von der maximal-distanzierten Satelliten-Aufsicht bis in den Schmutzrand des Details arrangierten Schau. Um Ordnungs- und um Sinnsysteme geht es.

Deren konsequente Engführung verrät ihr ständiges Mitlaufen im Hintergrund: Deshalb ist der ganze Weg notwendig. Deshalb wird erst das Badezimmer zum Ort der Wahrheit - der eben nicht mehr die Erinnerung weckt und als Idee des Stadtraums maskiert zu witzigen Reibungen führt. Sondern in dem das nackte Vorurteil auf die Intimsphäre wildfremder Menschen trifft: Was ist es, das trotz Mullicans handschriftlicher Interventionen ins Auge springen lässt, dass dieses Badezimmer fies versifft und ungeachtet der Hygienemängel deutlich weiblich dominiert ist? Und wieso und mit welchem Recht registriert der Blick das Suchtprofil der unbekannten Bewohnerinnen?

Hamburg derart abzutragen, das ist kein zu hoher Preis dafür, derart das - nur vermeintlich - eigene Schauen in den Blick zu bekommen: Gesteuert vom Sinnprogramm, in das die Komik Brüche treibt, agiert das Auge fremdbestimmt und unbewusst. Wie unter ständiger Hypnose.

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