Kunstdiebstahl in Paris: Picasso und Matisse sind weg
Es ist einer der größten Kunstdiebstähle aller Zeiten: Räuber sollen aus einem Pariser Museum Bilder im Wert von 90 bis 100 Millionen Euro gestohlen haben. Darunter Werke von Picasso und Matisse.
PARIS taz | Das Vorgehen ist von einer simplen Banalität, die im krassen Kontrast zum ungeheuren Wert der gestohlenen Bilder steht. Offenbar mussten die unbekannten Diebe bloß das Schutzgitter eines Fensters auf der Hinterseite des Musée dArt Moderne de la Ville de Paris (MAM) entfernen und ein Schloss aufbrechen, um ungehindert ins Innere eindringen zu können. Dort bedienten sie sich mit Kennerblick. Sie ließen nur Meisterwerke mitlaufen: Pablo Picasso "Le pigeon aux petits points" von 1912, "La pastorale" (1906) von Henri Matisse, Georges Braques "Lolivier près de lEstaque", ebenfalls aus dem Jahre 1905, eines von Amedeo Modiglianis berühmten Frauenporträts aus dem Jahr 1919 mit dem Titel "La femme à léventail" sowie Fernand Légers Stillleben "Nature Morte aux chandeliers" von 1922.
Das heißt, es wurden lauter sehr bekannte Bilder ausgewählt, die auf dem Schwarzmarkt bestimmt nicht an den erstbesten Hehler verhökert werden können. Sehr schnell wurde darum die Vermutung geäußert, dass es sich beim dreisten Einbruch ins Pariser Museum um eine Bestellung eines ebenso begüterten wie skrupellosen Sammlers handeln könnte, der professionellen Dieben den Auftrag zu diesem Kunstraub gegeben hat, der zweifellos in die Annalen der französischen Kriminalgeschichte eingehen wird. Und falls die Täter nicht rasch gefunden und überführt werden, dürfte dieser Diebstahl die Fantasie von Krimiautoren zu Geschichten im Stil des französischen Meisterdiebs Arsène Lupin inspirieren. Eine andere Möglichkeit besteht darin, dass die Täterschaft versuchen könnte, die entwendeten Bilder gegen ein "Lösegeld" der Versicherung auszutauschen.
Der Diebstahl ist am Vormittag kurz vor sieben Uhr vom Personal bei einem Rundgang in den weitläufigen Räumlichkeiten des Museums entdeckt worden. Seither ist das MAM für die Besucher geschlossen, die mit den Ermittlungen beauftragte Polizeibrigade zur Bekämpfung von Bandenverbrechen versucht irgendwelche Spuren zu finden. Das einzige brauchbare Element besteht in der Aufzeichnung einer Videokamera des Überwachungssystems, auf der die Gestalt eines nächtlichen Eindringlings zu sehen ist. Wie detailliert diese Bilder sind, wurde bisher nicht mitgeteilt. Parallel zur Spurensicherung läuft eine polizeiliche Großfahndung, um wenn immer möglich zu verhindern, dass die wertvollen Kunstschätze außer Landes gebracht werden. Die Datenbank von Interpol umfasst derzeit 26.000 gestohlene Kunstgüter.
Einmal mehr stehen nach diesem "Jahrhundertraub" die offenbar ungenügenden Sicherheits- und Alarmeinrichtungen zur Diskussion. Mehrfach sind die Pariser Museen deswegen von Kriminalexperten gerügt worden. Vor knapp einem Jahr wurde im Pariser Picasso-Museum während der Öffnungszeit eine wertvolles Heft mit Zeichnungen des spanischen Künstlers im Wert von mehreren Millionen Euro entwendet. In diesem Fall profitierte der Dieb vom außerordentlichen Umstand, dass damals in diesem Museum im Marais-Quartier Renovierungsarbeiten im Gange waren und deshalb die Aufsicht vielleicht etwas weniger rigoros war. Zu Jahresbeginn waren aus einer privaten Villa bei Toulon dreißig Bilder, darunter ein Picasso, gestohlen worden, zwei Tage zuvor war eine kostbare Pastellzeichnung von Edgar Degas, eine Leihgabe des Pariser Musée dOrsay, aus dem Cantini-Museum in Marseille verschwunden.
Weshalb der Einbruch und der Diebstahl im MAM keinen Alarm ausgelöst haben, ist derzeit noch nicht bekannt. Neben den fünf entwendeten Bildern umfasst die Sammlung des 1961 eröffneten Museums rund 8.000 Werke aus dem Kunstschaffen des 20. Jahrhunderts mit besonders repräsentativen Beispielen des Fauvismus und des Kubismus. Das MAM vis-à-vis vom Eiffelturm in der Nähe des Trocadéro ist nicht mit dem Centre Pompidou, den international bekannteren Nationalen Museum für Moderne Kunst in Paris, zu verwechseln. Es ist im östlichen Flügel des Palais de Tokyo untergebracht. Dieser äußerlich an Mussolinis Monumentalbauten erinnernde Palast war 1937 für die Weltausstellung erstellt worden.
Er wurde 2006 renoviert und beherbergt neben der permanenten Sammlung auch regelmäßig temporäre Ausstellungen mit großem Zulauf. Die letzte war dem Werk von Giorgio de Chirico gewidmet gewesen. Das seit 2007 von Fabrice Hergott geleitete städtische Museum gehört dem französischen Staat, dessen nationale Museumsverwaltung somit auch für den Unterhalt zuständig ist. Der Pariser Stadtpräsident Bertrand Delanoë erklärte gestern in einem Kommuniqué, er sei "bestürzt über diesen Raub, der einen unerträglichen Verlust für das universelle Kulturerbe" der französischen Kapitale darstelle.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld