piwik no script img

Kunstausstellung in KielDie Invasion der Professoren

In der letzten Ausstellung der Reihe "See History" haben sich Wissenschaftler der Kieler Kunsthalle bemächtigt. Sie hatten freie Hand, jeweils einen Raum aus den Beständen des Hauses zu bestücken. Bilder vom Sternennebel hängen nun neben dänischer Romantik. Eine Zusatzausstellung sorgt für die nötige Ironie.

Wissenschaftler bei der Arbeit. Und Schwontkowskys Mann, der abends hungrig den Kühlschrank öffnet. Bild: Kunsthalle Kiel

Der Juraprofessor Robert Alexy ist heute ein wenig aufgeregt. Das liegt nicht daran, dass er es nicht gewohnt ist, vor Menschen zu treten und zu sprechen, immerhin unterrichtet er an der Christians-Albrechts-Universität in Kiel. Doch diesmal findet er sich auf fremdem Terrain wieder - in der Kieler Kunsthalle, wo man ihm einen Raum zur Verfügung gestellt hat. Dort hängen nun lauter Werke, die er persönlich aus dem Bestand der Kunsthalle ausgewählt hat.

Alexys Wahl fiel auf "Im Frühling" von Anselm Feuerbach: Mädchen sitzen im Gras, eine aber steht und trägt etwas vor. Auf der Wand gegenüber: Das "Friesische Thinggericht" des Malers Carl Ludwig Jessen, ein mächtiger Schinken, der eine Gerichtsverhandlung als Gruppenbild der damaligen bäuerlichen Gesellschaft zeigt: "In beiden Bildern wird etwas verhandelt, wird auch etwas begutachtet und am Ende bewertet", sagt Alexy.

Gleich darauf zeigt der Jurist auf zwei Sockel, der eine mit einem Pflasterstein, bestempelt und signiert von Josef Beuys, der andere mit dessen "Rose für Demokratie" im Messbecher. "Demokratie hat immer mit Recht zu tun, so wie das Recht auf die Gewalt Antworten finden muss", sagt Alexy, der auch Rechtsphilosophie lehrt. Er hatte Beuys getroffen und lange mit ihm über das Thema gesprochen.

"See History Art & Science" heißt der neueste, aber auch der letzte Durchgang der "See History"-Reihe in der Kieler Kunsthalle, mit der sich Dirk Luckow, seit September Direktor der Hamburger Deichtorhallen, endgültig von seiner ehemaligen Wirkungsstätte verabschiedet. "See History" - mit zwei großen E, schließlich liegt Kiel ja am Meer - war ein genialer Schachzug, um die Sammlung des Hauses an der Förde kräftig zu durchlüften. Unter dem Slogan "See History - Der demokratische Blick" bedurften 2003 die Angestellten des Hauses, von Luckow selbst bis zur studentischen Hilfskraft, je einen Raum bespielen. 2006 animierte Luckow unter dem Motto "See History - Schätze bilden" Unternehmen, je ein Kunstwerk anzukaufen und es in einer passenden Umgebung zu präsentieren.

Zum Abschluss hat der ehemalige Direktor nun 16 Wissenschaftskuratoren benachbarter Häuser und Institute überredet, die Sammlung der Kunsthalle zu sichten und das eine und andere dazu zu leihen, um ihr jeweiliges Gebiet in der Kunst zu spiegeln -egal ob Pflanzenkunde oder theoretische Physik. Und siehe, auch einer dieser geschnitzten Balkenhol-Männer, die überall zu Land und auf dem Wasser als Scheinmenschen herumstehen, verliert das banal Dekorative, wenn er vom Theologieprofessor Johannes Schilling mit einem Blick auf einen Schmerzensmann positioniert wird.

Spannend auch der Raum, den der Astrophysiker Wolfgang Duschl gestaltet hat: In einiger Höhe hat er ohne jegliche Rahmung große Ausdrucke von Sternennebel hängen lassen - darunter platzierte er das schmachtende und doch ganz diesseitige Bild des Romantikers Johan Christian Dahl "Der Kopenhagener Hafen im Mondschein" aus dem Jahre 1831.

Um der Gegensätze nicht allzu sehr ins Didaktische zu erheben, hängt eines der schönen Bilder des Malers Norbert Schwontkowsky leise kommentierend an der Stirnwand: Ein Mann in Unterhose schaut im Kühlschrank nach, ob da etwas ist, nach dem ihm der Appetit steht. Titel der Arbeit: "Bosch (Die Kälte des Weltalls)".

Dazu kommt die Schau "Der Dopplereffekt. Bilder in Kunst und Wissenschaft", die in den nächsten Wochen in der Halle für Sonderausstellungen zu sehen ist. Unter den Künstlern sind Namen wie Arnulf Rainer und Man Ray, Candida Höfer und Albrecht Dürer. Und immer wieder blitzt neben allem Kundigen, allem historisch Verorteten und theoretisch Abgeleiteten Humor auf. Mark Dion präsentiert wunderbar beleuchtete Tierpräparate -die bei näherem Hinschauen nicht nur an den Rändern ausfransen. Tue Greenfurt lässt den Betrachter mittels eines Aquariums daran teilhaben, wie Quallen wachsen, und der Schwede Henrik Hakasson spannt Draht, auf dem Pflanzen siedeln.

Es gibt auch einen Kurzfilm: "Lurch. Reise in eine bizarre Welt" von Boris Hars-Tschachotin, der erzählt, wie der vordergründige Schrecken über die Arbeit mit Totem zur Liebe für das Lebendige wird. Sein Arbeitsloser, der in der Reptiliensammlung des Berliner Naturkundemuseums den Alkohol in den Gläsern kontrollieren und gegebenenfalls nachfüllen muss, kämpft anfangs mit dem Ekel, den seine Arbeit bei ihm verursacht, und freundet sich später mit jenen Wesen an, die der Vergänglichkeit trotzen - und mit der Flüssigkeit, die das bewirkt. Soll noch einer sagen, dass Wissenschaft trocken ist.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!