Kunstausstellung Manifesta im Kosovo: Ohne Visum in den Himmel
Die Wanderbiennale Manifesta führt durch die politischen und historischen Schichten von Prishtina. Ungezwungen bezieht sie die Stadt ein.
Autos nerven. Sie nerven ganz besonders in einer so eng bebauten Stadt wie Prishtina, wenn man bei hochsommerlicher Hitze auf zugeparkten Bürgersteigen unterwegs ist. Denn das muss man auf der Manifesta. 25 Orte bespielt die europäische Wanderbiennale in der nur 150.000 Einwohner:innen großen Hauptstadt des Kosovo.
Doch Autos sind auch gesellschaftlich lesbar, schon beim Blick auf das Nummernschild. Quer über dem Asphalt stehen Pkws mit deutschem, österreichischem und Schweizer Kennzeichen. Es sind die Fahrzeuge der vielen Kosovar:innen, die der desolaten Wirtschaftslage entflohen sind und den schwelenden politischen Konflikten in ihrem Land, die 1998/99 im Kosovokrieg ihren traurigen Höhepunkt fanden. Viele der Ausgewanderten machen nun in der alten Heimat Sommerurlaub.
Die jährliche Rückkehr der kosovarischen Diaspora bringt vielleicht einen kulturellen Austausch, auf jeden Fall aber Geld ins Land (Euro ist hier die Landeswährung). Jahrzehntelang fand ein Braindrain aus dem Kosovo statt, das als jüngster und zugleich als einer der ärmsten Staaten Europas gilt. Wobei sogar völkerrechtlich umstritten ist, ob die Republik Kosovo seit ihrer 2008 selbst erklärten Unabhängigkeit als eigenständiger Staat gilt. Innerhalb der EU erkennen fünf Länder das Kosovo nicht als Staat an.
Kosovar:innen benötigen in vielen Ländern ein Visum, allein um nach Kroatien zu reisen. So berührt die Manifesta auch eine stete politische Statusunsicherheit dieser Region im westlichen Teil der Balkanhalbinsel, wenn sie das Thema Visafreiheit immer wieder aufkommen lässt, in den Eröffnungsreden am 22. Juli, zuletzt noch an diesem Montag, als sie in einer internationalen Pressemitteilung dazu aufrief, die Menschen im Kosovo nicht weiterhin durch Visabeschränkungen zu isolieren.
Kunstausstellung als politisches Projekt
Die 14. Ausgabe der 1994 in den Niederlanden gegründeten und bis heute von Direktorin Hedwig Fijen geleiteten Manifesta ist auch ein politisches Projekt. Ähnlich wie für die Kulturhauptstadt Europas bewerben sich Städte um die Gastgeberschaft der Manifesta. Die Kosten von gut fünf Millionen Euro tragen nationale und internationale Geldgeber wie die Europäische Union.
Die Kuratorin Catherine Nichols wählte den abstrakt um sich kreisenden Titel „it matters what worlds world worlds: how to tell stories otherwise“. Übersetzt: „Es kommt darauf an, welche Welten Welten gebären: Wie man Geschichten anders erzählt.“ Es geht also um Erzählungen, wo es hier doch die gegensätzlichen Narrationen sind, die zu umstrittenen Staatsgrenzen und Konflikten zwischen den Menschen führen.
Aber Nichols’ Blick, mit dem sie über die diversen Ausdrucksformen von über 100 künstlerisch Beitragenden Regie führt, ist global. Mit kuratorischen Sujets wie „Transitions“, „Migration“ oder auch einfach „Water“ macht sie das 100-tägige Kunstfestival für eine Mehrheit der Menschen anschlussfähig.
Hauptspielort der Manifesta ist das Grand Hotel. Einst erlebte der in Titos Auftrag errichtete Prestigebau mit seinen über 350 Zimmern pompöse Zeiten, heute ist der Charme des poppigen Yugo-Interieurs aus den 1970er Jahren verblichen. Ein entkernter Betontrakt hängt an dem Gebäude wie ein lahmer Arm, als sei das Grand Hotel nicht einer unvollendeten Sanierung, sondern einem Schlaganfall zum Opfer gefallen.
Vom Dach des Hotels kündet nun eine pulsierend in die Nacht leuchtende Botschaft von Petrit Halilaj poetische Zeiten an: „Wenn die Sonne verschwindet, bemalen wir den Himmel“ steht in großen Lettern auf Albanisch, darum tänzeln Leuchtsterne.
Keine bloße Talentschau internationaler Künstler:innen
Halilajs optimistisch-verträumte Installation ist beispielhaft dafür, wie die Kunstschau in dieser schillernden Stadt geografische und zeitliche Ebenen verbindet. Halilaj hat seine Wurzeln im Land – wie auch Flaka Haliti, die gegenüber dem Grand Hotel ein Billboard mit ausgeschliffenen Metallüberresten eines KFOR-Militärstützpunkts installierte. Beide Künstler:innen entwickelten internationale Karrieren.
Auch Christian Nyampeta mit niederländisch-ruandischem Background hat so eine internationale Biografie. Auf seiner Videoprojektion im verlassenen 50er-Jahre-Kino Rinia lässt er eine unmögliche Versammlung von Politikern über einen Dokumentarfilm zum Kongo diskutieren.
Oder die in Polen aufgewachsene und zwischen London und Berlin lebende Alicja Rogalska. Sie lässt in einer gewöhnlichen Neubauwohnung, subtil in den Regenbogenfarben der LGBTQI*-Bewegung ausgestattet, von kosovarischen Frauen die Karten lesen. Rogalskas Karten, sie sind mit Motiven bedruckte, gefälschte Geldscheine.
Doch Nichols macht die Manifesta nicht zu einer Talentschau derjenigen, die dann doch international reisen können. Man erfährt viel von der Kunstszene vor Ort. Die 1945 geborene Alije Vokshi etwa gilt als erste albanische Künstlerin in Prishtina mit einer klassischen Ausbildung.
Ihre Malereien porträtieren mit grobem Pinselstrich und zugleich feinen Zügen Frauen. Arbeiterinnen mit großen, krummen Händen und einem fahlen Blick. Sie leben, dieser Eindruck verstärkt sich schnell bei einem Besuch in Prishtina, in einer patriarchal geprägten Gesellschaft. Erst vor wenigen Wochen hat sich das kosovarische Parlament durch Abwesenheit einer Entscheidung zur Ehe für alle entzogen.
Schichten einer Stadt
Man durchwandert die historischen und politischen Schichten der Stadt. In einer alten Druckerei lassen sich Spuren früheren Clublebens finden. Unter dem monumental aufragenden Betonzelt des Jugend- und Sportpalastes Boro-Ramiz – seine einstige Eissporthalle ist nun ein Parkplatz – ruft Lee Buls von der Decke hängender Zeppelin das utopische Versprechen wach, das der jugoslawische Architekt Živorad Janković mit diesem Bau in den 1970er Jahren machte.
Die Nationalbibliothek ist atemberaubend. Der aus dem heutigen Kroatien stammende Architekt Andrija Mutnjaković setzte ihr in den frühen 1980ern eine Vielzahl metallisch glänzender Kuppeln auf. Man mag dabei an eine Science-Fiction-Kulisse, aber auch an die schieren Kuppellandschaften klassischer osmanischer Moscheen denken, wie Architekt Mimar Sinan sie im 16. Jahrhundert auch im Balkangebiet errichten ließ.
Und wenn man schließlich auf die Anhöhe Matičansko zu einem jener irre entworfenen aber mittlerweile dahinrottenden Partisanendenkmäler gestiegen ist, die Tito in ganz Jugoslawien aufbauen ließ, dann wirft einen Sislej Xhafa nonchalant wieder in eine konkrete Gegenwart zurück:
Zwischen die ausladenden Betonflügel des Denkmals setzte der Künstler eine Zapfsäule samt Sonnenschirm, Solarzellen, Handykabel und grinsendem Aufpasser – existenzielle touristische Infrastruktur für den erlebnishungrigen Ausstellungsbesucher.
Manifesta soll zur Stadtentwicklung beitragen
Solche charmanten wie auch nachdenklich stimmenden Momente schafft die bildende Kunst auf dieser Manifesta. Doch der Wanderbiennale geht es auch um ihr „zukünftiges Vermächtnis“, wie Direktorin Hedwig Fijen es formuliert. Schon seit einigen Jahren will die Manifesta Anstöße für eine nachhaltige Entwicklung der gastgebenden Städte geben.
Für Prishtina setzte man auf internationale Prominenz, als man das italienisch-amerikanische Büro CRA – Carlo Ratti Associati einlud, schon im Vorfeld planerische Strategien zu entwickeln, wie sich vernachlässigte Stadträume reaktivieren ließen und auch die Zivilgesellschaft in die Gestaltung ihrer Stadt besser eingebunden werden könnte.
Das Ergebnis von CRA ist vielmehr eine analytische Publikation als der Beginn einer städtischen Transformation. Fünf Millionen Euro Budget reichen dafür doch nicht aus, so sehr sich der junge Bürgermeister und studierte Architekt Përparim Rama auch für seine Stadt engagiert.
Aber es lassen sich erste Ansätze finden: Eine ehemalige Gleistrasse wurde zu einem Parkstreifen. Gelbe Stadtmöbel und Pflanztröge deuten auf dem noch arg staubigen „Green Corridor“ an, dass sich hier einiges tun könnte. In einer ruinösen Ziegelfabrik richtete raumlaborberlin, die mit ihren Baugerüstinstallationen immer auch gemeinschaftliche Räume schaffen können, eine Summer School ein.
Manifesta 2028 soll in Kiew stattfinden
Vollkommen zugemüllt muss die Fabrik gewesen sein, jetzt plätschert dort ein Pool für die Anwohner. Beim Center for Narrative Practice lässt sich tatsächlich von einem Erfolg sprechen. Der Altbau der Hivzi-Sylejmani-Bibliothek wurde aufwendig saniert, der Hof begrünt, die Finanzierung als Ort kulturellen Austausches für fünf Jahre gesichert.
Der urbanistische Anspruch der Manifesta 14 wirkt mutig in einer Stadt, in der qualitativer öffentlicher Raum kaum eine Rolle spielt. Dass die Wanderbiennale ihr Nomadentum reflektiert, ist in einer Zeit der vielen Biennalen und eines ortshungrigen Kunstjetsets vielleicht auch einfach etwas, was man heute als kultureller Großveranstalter tun sollte. 2028, das ließ Direktorin Hedwig Fijen kürzlich verkünden, soll die Manifesta in der ukrainischen Hauptstadt Kiew stattfinden.
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