Kunst: Die Nacht, bei Lichte besehen
Zwei Ausstellungen widmen sich zurzeit dem Phänomen der Nacht. Die Stadtgalerie Kiel zeigt sie mit Filmen, Fotos und Installationen, während in Delmenhorst ganz auf die zeitgenössische Malerei gesetzt wird.
Der Mond ist gar nicht so leicht zu fangen. Immer wieder huscht er während der folgenden neun Minuten weg, tänzelnd am rechten Bildrand, springt wie ein Flummi hoch und nieder und ist zwischenzeitlich überhaupt nicht mehr zu entdecken. Dazu erklingt etwas schepperig aus der Ferne erst "Where the streets have no names", dann "I will follow" von U2, womöglich aus dem Autoradio, fliegen doch auf der Jagd nach dem Mond immer wieder Bäume, Strommasten und entgegenkommende Autos vorbei. Seltsam, dass sich unser Nachbar so ungestüm, so zickig, ja geradezu flegelhaft gebärdet, wo er doch sonst so verträumt und zuverlässig wie unverrückbar am Himmel steht, wenn wir des Nachts vorm Schlafengehen noch mal schauen, ob es ihm gut geht.
"Speed" hat der Schweizer Künstler Eric Hattan seine Filminstallation genannt, eins von vielen kleinen Schmankerln in der aktuellen Themenausstellung in der Kieler Stadtgalerie. "Die Nacht, das ist natürlich ein Thema, das schnell ausufert", sinniert Wolfgang Zeigerer, Leiter des Hauses. "Wir haben dennoch versucht, das Thema in seiner Vielfältigkeit aufzugreifen und es dabei immer wieder zu bündeln." Und das ist rundum gelungen. "Es werde dunkel! Nachtdarstellungen in der zeitgenössischen Kunst" versammelt zwanzig Positionen, die geradezu traumwandlerisch die Balance aus Appell und theoretischer Einordnung halten: Thomas Ruff ist noch einmal mit seinen immer noch beeindruckenden Sternenbildern zu sehen, die ewig reisende Karen Stuke hat sich beim Schlafen sowohl in Bielefeld-Brackwede wie in Osaka abgelichtet und Frank Bauer und Kate Waters wiederbeleben den Fotorealismus, wird doch das Nächtliche durch das Helle bis Grelle doppelt interessant.
Wem beim Sujet der Nacht generell dessen erotisches Potential in den Sinn kommt, den kann die Fotoserie "Portraits bei Nacht" von Ralf Peters in die auch körperlichen Schranken weisen. Aufrecht, mit geraden Rücken sitzen sie da, die Frau, der Mann; schauen je für sich auf den Monitor, der ihre Welt mal grünlich, mal bläulich erhellt und so sie an sich bindet. Nacht ist, wenn man trotzdem arbeitet, weil längst Tag wie die Nacht ist, weil aber auch niemand anruft oder vorbeikommt und etwas von einem will.
Sehenswert ist auch der Film "Lowlight" von Julian Neville, der die Geschichte der Rave-Musik besonders in New York thematisiert. Bereits in den späten 1990ern gab es einen Vorstoß des "Law&Order"-Bürgermeisters Rudolph Giuliani, die vorzugsweise in Gruppen tanzende Rave-Gemeinde durch einen Rückgriff auf das "Carabet Law" von 1926 einzuschränken. Das erlaubte seinerzeit Tanzen nur in Bars und Clubs mit einer entsprechenden "Cabaret-Lizenz". Blieb dies anfangs eine lokale Besonderheit, wurde sie nach den Anschlägen vom elften September mittels des nun bundesweit gültigen Rave-Act flächendeckend ausgeweitet und angewandt. Und nun sehen wir zu, wie ein paar junge Kerle, die in schummrigen Bars sich mal verlegen und schüchtern, mal sich überwindend in Breakdance und Hip Hop Gesten üben, ohne dass eine Spur von Ekstase zu spüren ist, während ein Sicherheitsbediensteter der Stadt im Dienstwagen gut gelaunt seine Arbeitsplatzbeschreibung referiert: Wie er nachts unterwegs ist und schaut, wo in den Bars und Clubs wild getanzt wird, und ob diese eine Lizenz zum Tanzen haben - wobei es aber weiterhin erlaubt sein soll, ein wenig mit den Beinen zu zucken oder mit den Armen zu schlenkern, wenn schon Musik läuft. Und er lacht sich scheckig über seinen Job, der ihn immer wieder vor eine entscheidende Frage stellt, betritt er einen nicht lizensierten Club: Tanzt da jemand verbotenerweise oder bewegt er sich gerade noch im Rahmen des Zulässigen?
Hat in Kiel der Besucher so die Hand stets am Lichtschalter, geht es in Delmenhorst, wo gleichfalls eine umtriebige Stadtgalerie beheimatet ist, weit unter- und urgründiger zu: "Die Nacht. Nachtdarstellungen in der zeitgenössischen Malerei" heißt zunächst nicht ganz unverwandt die dortige Schau, die sich auf das Erkunden des Nächtlichen mit malerischen Mitteln konzentriert. Und das funktioniert ganz wunderbar, denn offenbar vermag das Malerische mit seinen eigenen Gesten, Andeutungen und Abstraktionen uns paradoxerweise eine Stufe tiefer hinab ins Dunkle zu verleiten, zu begleiten und dort zu erschrecken. Dies gilt besonders für die Malerei von Karin Kneffel, der es gelingt, das Unbestimmte, das Unheimliche oder auch nur das Unbehagliche der Nacht einzufangen, getragen von der Erfahrung, dass es nicht helfen wird, das Licht anzuknipsen. Norbert Schwontkowski lässt daher gleich Dr. Freud auf Reisen gehen: In einem Kahn rudert er über einen See, in dem vielleicht unsere Albträume vor sich hin glucksen. Beide Maler sind übrigens mit ähnlich gültigen Beiträgen in Kiel vertreten.
Richtig klasse - und schon deshalb einen Besuch wert - sind drei Arbeiten von Daniel Richter, der oft als "Malerfürst" tituliert wird, weshalb der Weg zum "Fürst der Finsternis" auch diesmal nicht weit ist. Er trumpft mal nicht mit seinen Schinken voller Zitate, Anspielungen und Übermalungen aus der Spraydose auf, sondern hat sich - vielleicht ja von der Stille und der Güte besänftigt, die die Nacht trotz allem haben soll - auf kleine, in sich konzentrierte Formate beschränkt: Hunde haben am Waldrand etwas zu fressen gefunden, was vielleicht gerne weiterleben würde; ein illuminierter Vogelmensch bückt sich über ein Vögelchenskelett. Wunderbar auch sein "Homesickblues". Denn wie der kleine Daniel da mit der Gitarre in der Hand vielleicht in Richtung Meer oder Horizont oder Ewigkeit schreitet, das ist einfach nur sympathisch und leuchtet wie von selbst. Auch am Tag, der sich dazwischen schiebt.
"Es werde dunkel! Nachtdarstellungen in der zeitgenössischen Kunst", Stadtgalerie Kiel, bis zum 14. 3. "Nacht. Nachtdarstellungen in der zeitgenössischen Malerei", Stadtgalerie Delmenhorst bis zum 5. 4.
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