Kunst an der Mauer: Bruderkuss lässt auf sich warten
Über die Neubemalung der East Side Gallery ist ein Streit zwischen den Künstlern entbrannt. Die einen malen schon wieder, die anderen wollen mehr Geld.
Besuchern der East Side Gallery bietet sich derzeit alles andere als ein ansehnliches, geschlossenes Bild des wohl berühmtesten Mauerstücks. Ein Teil der Open-Air-Galerie aus dem Jahre 1989 ist schmucklos in Grau gehalten, ein Stück weiß unterlegt mit frisch aufgemalten Kunstwerken, der Rest wie gehabt bestückt mit Kunst und Graffiti darüber. Eine Szenerie, die die zerrüttete Lage unter den Künstlern wiedergibt: Über die Sanierung der East Side Gallery ist ein Streit zwischen Malern, Stadtplanern und Bezirk entbrannt, bei dem keine Lösung absehbar ist.
Weil Wetter, Abgase und Touristen auf Souvenirjagd dem Mauerstück an der Spree in den vergangenen 20 Jahren zugesetzt haben, soll die East Side Gallery saniert werden. Ein Großteil der verblassten 103 Kunstwerke ist abgestrahlt worden - daher die teils nackten Stücke - und soll nun an gleicher Stelle neu gemalt werden. Für den Auftrag sollen die Künstler jeweils 3.000 Euro erhalten.
Einige Maler der Künstlerinitiative East Side Gallery haben mit der Arbeit begonnen. Eine Gruppe um den Künstler Bodo Sperling jedoch verweigert sich der Regelung. Sie fordert mehr Geld, ein neues Konzept und wirft der S.T.E.R.N.-Gesellschaft für Stadterneuerung Entfremdung von Mitteln vor.
"Uns geht es darum, anständig an den Mitteln beteiligt zu werden und die Freiheit zu haben, zu sagen, welche Bilder gemalt werden", sagte Sperling jüngst bei einer Pressekonferenz. Sperling zählt zu den Mitbegründern der East Side Gallery.
Der Initiative Sperlings sind nach seinen Angaben inzwischen 15 Künstler beigetreten, darunter der Maler des Bruderkusses, Dmitry Vrubel. Sperling möchte, dass die Künstler statt der 3.000 Euro 15.000 Euro für jedes Bild bekommen. "In den letzten Jahren hat Berlin siebenstellige Summen durch Merchandising und etwa Übernachtungen verdient, eine gerechte Mittelverteilung ist daher nur fair", sagt er zur Begründung.
Insgesamt stellen Bund, Berlin und Europäische Union für die Sanierungsarbeiten 1,1 Millionen Euro bereit. In der Kostenaufstellung von S.T.E.R.N. sind Posten wie 64.000 Euro allein für die "Betreuung von Künstlern" veranschlagt - ein Stein des Anstoßes für Sperling. "Das kann ich mir kaum vorstellen", schimpfte er. Auch die für Gerüste eingeräumten 100.000 Euro sind für ihn nicht nachvollziehbar. "Wenn das Land Berlin noch weiter wartet", droht er, will er noch mehr Entlohnung verlangen.
Der Vorsitzende der Künstlerinitiative East Side Gallery, Kani Alavi, zeigt sich dagegen verärgert angesichts der Forderungen von Sperlings Gruppe. Er vertritt jene Maler, die mit dem Neuauftragen ihrer Werke bereits begonnen haben oder demnächst beginnen werden. "Es wird gemalt", betonte er. Sollten sich Akteure wie Sperling oder Vrubel verweigern, müsse er neu mit dem Denkmalamt verhandeln, um eine Lösung zu finden. "Vrubel hat mir aber versprochen, dass er malt", sagte Alavi.
Aus dem Mund des russischen Bruderkuss-Schöpfers hört sich das aber ganz anders an. Ihm sei im Herbst mehr oder weniger die Pistole auf die Brust gesetzt worden, sagte Vrubel: Entweder er male dasselbe Bild noch einmal zu den gestellten Bedingungen, oder jemand anders male sein Bild nach. Er wolle den Kuss noch einmal auftragen, erklärte Vrubel. "Aber ich will mehr Rechte und eine angemessene Bezahlung."
Sperling wollte sich in diesen Tagen mit Anwälten beraten. Er gibt sich stur. "Zum Dekorieren sind wir nicht da." Sperling und etwa der Pop-Art-Künstler Jim Avignon wollen auch konzeptionell eine Neuausrichtung: Nachwuchsmaler sollen die Mauer jedes Jahr neu bemalen und somit ein Forum erhalten. "Diese stark verkitschten Arbeiten noch einmal renovieren - lieber nicht", erklärte Avignon in einer Mitteilung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was