Kunst-Glokalisierung: Unsere Heimatist die Welt
Hamburger Kunsträume
von Hajo Schiff
Reisen, wenn man es richtig macht, verschiebt die Parameter. Aber in Zeiten der 25-Euro-Flüge findet kaum noch jemand überhaupt irgendetwas wirklich anderes. Nach drei Stunden Flug grinst doch bloß wieder eine Ikea-Filiale neben der Straße in die ferne Stadt. Und was der Städter im fremden Dorf idyllisch findet, findet der Einheimische selbst oft bloß unpraktisch.
Allerdings treffen dergleichen Überlegungen zwar auf immer mehr Herumreisende zu, aber im Weltmaßstab doch nur auf eine kleine, letztlich elitäre Gruppe, die die Zeit und das Geld und den richtigen Pass hat. Und in einer Art korrigierender Umkehr reklamiert die, je globaler sie agiert, desto nostalgischer lokale Eigenheiten und dezentrale Ökonomien.
Dieses „glokale“ Heimatgefühl findet einen wunderbaren Ausdruck im kunstgewerblichen Projekt „Internationaler Dorfladen/International Village Shop“. Das Projekt von Kathrin Böhm aus Großbritannien, Wapke Feenstra aus den Niederlanden und der Deutschen Antje Schiffers versteht sich als soziale Skulptur, als Netzwerk und Vertriebsweg. Nach Gastspielen in anderen Kunstinstitutionen sind die Dinge von Dorfbewohnern aus aller Welt nun ab nächsten Samstag (Eröffnung 17 Uhr) permanent in einer Filiale im Springhornhof im Heideort Neuenkirchen zu sehen – und zu erwerben: Pferdemilchseife aus Friesland, Froschbutterlöffel aus Oberfranken, Wohnwagen-Blumentöpfe aus Nordirland, Bauern-Porzellan aus Spanien, Fufu-Schalen aus Ekumfi-Ekrafwo in Ghana oder Heidekartoffelbeutel aus Soltauer Filz.
Noch im Nahverkehrsbereich dagegen haben sich japanische und deutsche Künstler getroffen und aus ihrer unterschiedlichen kulturellen Prägung heraus Ortsbezüge zu Schloss Agathenburg bei Stade erarbeitet. „Warum ticken manche Uhren anders?“, ist die Mottofrage dieser Ausstellung, die am heutigen Samstag um 18 Uhr eröffnet wird und das Naheliegende durch den Blick aus der Ferne leuchten lässt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen