Kultursenator über Ausverkauf von G+J: „Es ist schon eine Zäsur“
Seit dem Kahlschlag bei Gruner+Jahr wird das Ende des Medienstandorts Hamburg beschworen. Kultursenator Brosda (SPD) sieht die Politik außen vor.
taz: Herr Brosda, wann hatten Sie zuletzt die Barbara in der Hand – und was war darin für die Demokratie relevant?
Carsten Brosda: Dass ich die Barbara in der Hand hatte, ist schon ein bisschen her. Aber die Frage, was demokratierelevant oder nicht ist, hat kein Politiker nach seinem eigenen Geschmack zu beantworten. Ich würde aber niemals sagen, solche Zeitschriften bräuchten wir nicht. Auch die geben uns Hinweise, welche Themen momentan in der Welt unterwegs sind, und gehören zur medialen Vielfalt. Dennoch: Was schützenswert ist und was nicht, müssen Verlage und Redaktionen im Einzelfall entscheiden, aber bitte nicht die Politik.
Aber durch den Kahlschlag bei Gruner+Jahr werden nun ein paar Unterhaltungsmagazine abgewickelt und Sie beklagen das Verblassen des kritischen Journalismus in Hamburg – wie passt das zusammen?
Nein, das stimmt so nicht. Die Sorge, die ich geäußert hatte, ist eine grundsätzlichere: Es zeigt sich eine Logik, nach der Verlage ihr Geschäftsmodell entbündeln.
Das heißt?
Früher haben sie Anzeigen verkauft und gute Erlöse gemacht, aber nur, weil die Anzeigen in einem journalistischen Produkt platziert waren. Das funktioniert jedoch in digitalisierten Zeiten nicht mehr so gut. Darauf haben viele Verlage auch reagiert: Sie haben digitale Plattformen geschaffen, mit denen weiter Anzeigenerlöse generiert werden. Unterm Strich – Kosten des Journalismus auf der einen Seite, Erlöse durch die digitalen Plattformen auf der anderen Seite – geht das für einen Verlag auf. Wenn man jetzt aber anfängt, von den eigenen journalistischen Produkten zu erwarten, dass sie mit ihrer Arbeit auch noch in demselben Maß Erlöse generieren, um Journalismus nur noch aus sich selbst heraus zu finanzieren, dann ist das gefährlich. Da sollte das Bewusstsein herrschen, dass es sich bei Medien nicht nur um ein betriebswirtschaftliches, sondern auch um ein gesellschaftlich relevantes Gut handelt.
Sie hatten vor der Verkündung mit öffentlichen moralischen Appellen vor dem Ausverkauf gewarnt. War das nicht etwas naiv bei einem privaten Unternehmen?
Medienunternehmen sind schon immer profitorientiert gewesen, aber dazu gehört eben auch das Bewusstsein – und zwar auch heute noch –, auch eine demokratische und gesellschaftliche Aufgabe zu erfüllen. Lange Zeit sorgten Medienprodukte für gute wirtschaftliche Erlöse, das war ja fast schon eine wunderbare List: Es gab über den Anzeigenverkauf privatwirtschaftliche Erlöse und es hatte einen demokratiefördernden Effekt. Das ist heute schwieriger.
Also?
Es muss auch künftig möglich sein, auf privatwirtschaftlichem Weg etwas demokratisch Notwendiges zu gewährleisten. Es wäre keine Lösung, dass es nur noch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auf der einen Seite gibt und auf der anderen Seite einen Journalismus, den sich der ein oder andere Mäzen leistet. Der privatwirtschaftliche Journalismus ist zwar nicht frei von wirtschaftlichen Zwängen, aber immerhin freier von möglichen gesellschaftlich-politischen Zwängen oder von den Launen eines einzelnen Mäzens. Insofern würde es dann in der Gesamtschau einen Journalismus geben, in dem sich bestenfalls alle drei Abhängigkeiten aufheben.
Was bedeuten die Geschehnisse bei Gruner+Jahr für den vielzitierten „Medienstandort Hamburg“?
Es ist schon eine Zäsur. Gruner+Jahr war ein Verlagshaus, das in der Öffentlichkeit für etwas stand: für besondere Arbeitsbedingungen, für eine gute journalistische Ausbildung bei der Nannen-Schule, für eine besondere journalistische und betriebliche Kultur. Was davon bleiben wird, ist offen. Für den Medienstandort insgesamt ist klar, dass er sich ohnehin seit Jahren in der Transformation befindet. Die Frage, wie Journalismus in der digitalen Welt aussieht, stellt sich längst auch in Hamburg, aber die Antwort kann nicht die Politik vorgeben. Wir können gute Rahmenbedingungen schaffen, dass die hier Arbeitenden die Frage beantworten können. Das machen wir bereits, etwa mit der Initiative „nextMedia.Hamburg“, in der wir unterschiedliche Akteure der Medienwirtschaft zusammenbringen.
Berlin ist die einzige deutsche Weltmetropole, in Köln gibt es im direkten Umfeld Dutzende Großstädte mit Millionen Einwohner:innen. Halten Sie es für realistisch, dass Hamburg in diesem Standortwettkampf eine Chance hat?
Hamburg ist immer noch einer der stärksten Medienstandorte. Aber wir können natürlich nicht Unternehmen herbeisubventionieren. Das würde auch nicht funktionieren und wäre im Medienbereich auch verfassungsrechtlich gar nicht möglich. Und Hamburg ist vielleicht nicht mehr so singulär, wie es früher einmal war. Die nationale politische Berichterstattung findet heute auch stark in Berlin statt, Köln ist als TV-Standort wichtig, Hamburg bleibt aber weiterhin ein gut aufgestellter Standort mit großer journalistischer Kompetenz und wichtigen Medien.
Wäre es für Hamburg strategisch ohnehin nicht klüger, statt den schleichenden Untergang eines ehemals bedeutenden Verlagshauses zu beklagen, sich auf die Förderung von Neuem zu konzentrieren?
Es ist weniger ein Entweder-Oder, als man denkt. Die wirklich disruptiven Start-up-Unternehmungen passieren ja vor allem da, wo vorher nichts war – in den USA etwa geschah das im Silicon Valley, nicht in New York. Hier in Hamburg haben wir einen anderen Pfad, der sich auf die Transformation eines erfolgreichen Medienstandorts konzentriert. Es gibt hier einerseits eine große Medienkompetenz, mit deren Hilfe sich Neues aufbauen lässt. Wenn wir zudem die Innovationskompetenz in den bestehenden Verlagshäusern stärken, dann ist das medienpolitisch für Hamburg der Weg, der spannend ist: Netzwerke zwischen diesen beiden Akteuren schaffen. Es reicht nicht aus, sich darum zu kümmern, dass die großen Verlagshäuser in zehn Jahren noch da sind. Im Idealfall bilden sie das Rückgrat dafür, dass dazwischen viel Neues entsteht, wie zum Beispiel die Online-Marketing-Rockstars.
48, ist seit 2017 Senator für Kultur und Medien in Hamburg. Er absolvierte ein journalistisches Volontariat Bei der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ und promovierte zum Thema „Diskursiver Journalismus“.
Was kann denn die Stadt aktuell noch unternehmen, um dem Kahlschlag bei Gruner+Jahr zu begegnen?
Wir helfen dem Unternehmen, einen neuen Standort zu finden. Wir bereiten Angebote für diejenigen vor, die dort nicht weiterarbeiten können. Und bei den Titeln, die verkauft werden sollen, ist zum Beispiel noch offen: Gibt es vielleicht Interesse der jetzt Verantwortlichen, die Titel zu übernehmen und in Eigenregie fortzusetzen? Solche Fälle gab es in der Vergangenheit schon und sie zeigen, dass das funktionieren kann. Über die Wirtschaftsförderhilfen der Stadt haben wir die Möglichkeit zur Unterstützung. Da ist aber noch nicht klar, ob Gruner+Jahr diesen Weg des „Management Buy-outs“ gehen will oder ob es nicht doch potenzielle Käufer gibt – das sind ja durchaus interessante Titel für andere Verlage. Die Titel sind ja schließlich nicht unprofitabel.
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