: „Kulturschock“ im Pentagon
■ US-Verteidigungsminister Cheney läßt drastische Kürzungspläne entwerfen / In den USA wird die sowjetische Bedrohung neu definiert
Aus Washington Rolf Paasch
Die Bush-Administration scheint in diesen Tagen nach langem Zögern endlich die Konsequenz aus der (Abrüstungs-)Politik Gorbatschows und den Veränderungen in Osteuropa ziehen zu wollen. Die bisher alles überragende These von der sowjetischen Bedrohung auf dem Kriegsschauplatz Europa wird im Augenblick jedenfalls heftig umgedacht. US -Verteidigungsminister Dick Cheney hat seinen Pentagon -Strategen als Hausaufgabe aufgegeben, Pläne über eine Kürzung des Verteidigungshaushalts in den nächsten fünf Jahren um 180 Milliarden Dollar auszuarbeiten.
Wenn die US-Militärplaner vom „worst case scenario“, von der schlimmsten aller Möglichkeiten reden, dann meinen sie heutzutage nicht mehr den nuklearen Austausch, sondern drastische Kürzungen im US-Rüstungsetat. Ein Sprecher des Pentagon sprach unlängst gar von einem „Kulturschock“ für die unter Ronald Reagan so verwöhnten Aufkäufer kriegerischer Kulturgüter in dem achteckigen Gebäude am Potomac. Kurzum, die Tatsache, daß statt der erwarteten sowjetischen Panzer qualmende Trabis rollen, hat in den USA ein 300 Milliarden Dollar schweres Rüstungsbudget unhaltbar werden lassen. Kürzungen im Militärhaushalt, so scheint sich in Washington eine neue Logik durchzusetzen, sind zur Reduzierung des Haushaltsdefizits bei weitem populärer, als mögliche Steuererhöhungen.
Verteidigungsminister Cheney befindet sich im Augenblick in den alljährlichen Verhandlungen mit Haushaltsdirektor Richard Darman über die Höhe der Militärausgaben im Gesamtetat für 1991, der im Januar dem Kongreß vorgelegt werden muß.
Aus dem Pentagon ist dabei die Bereitschaft zu hören, Ausgabenkürzungen bis zu zehn Milliarden Dollar hinzunehmen. Längerfristig, so äußerte sich Cheney, müßten die USA über eine Reduzierung ihrer Divisionen, die Verschrottung von drei bis vier Flugzeugträgern und die Reduzierung des 500 Millionen Dollar teuren B-2-Stealth-Bombers nachdenken, von dem ursprünglich 132 Exemplare gebaut werden sollten.
Mentalitätswandel
auch im Kongress
Dem Verteidigungsminister geht es in seinen Reduzierungsplanspielen allerdings weniger um die konkrete Kürzung spezifischer Programme, als um einen grundsätzlichen Mentalitätswandel in seiner Behörde und im Kongreß. Aufgrund des automatischen Wachstums einzelner Programme würde sich das jetzt vom Kongreß beschlossene Rüstungsbudget von 286 Milliarden Dollar für 1990 in den nächsten Jahren auf 400 Milliarden Dollar erhöhen, ohne daß auch nur die Neubeschaffung eines Waffensystems beschlossen würde. Und wären in diesem November nicht die automatischen Budgetkürzungen des Gesamthaushalts in Kraft getreten, dann hätten es die Kongreßabgeordneten ohne weiteres geschafft, den ihnen zur Beschneidung vorgelegten Rüstungsetat um 2,5 Milliarden Dollar aufzustocken.
Um Arbeitsplätze in ihren Wahlkreisen zu retten, bestellten die Volksvertreter Hubschrauber, Kampfflugzeuge und Rotorflugzeuge, die selbst das Pentagon nicht mehr will. Da Rüstungspolitik in den USA längst zur Lokalpolitik geworden ist und das Militärbudget infolgedessen nach arbeitsmarktpolitischen statt nach militärstrategischen Gesichtspunkten zusammengesetzt wird, dürften die vom Verteidigungsminister angeregten Etatkürzungen im Kongreß auf heftigen Widerstand stoßen.
Seine Pläne, so erklärte Cheney am Sonntag in einem Fernsehinterview „werden zweifellos Arbeitslosigkeit bringen und auf Capitol Hill für Konsternierung sorgen, weil einige der zu kürzenden Posten den Parlamentariern allzu liebgeworden sind“.
Nachdem das als unverbindlicher privater Segeltörn angesetzte Treffen zwischen Bush und Gorbatschow Anfang Dezember angesichts der jüngsten Entwicklungen in Osteuropa längst „Gipfel-Charakter“ angenommen hat, scheint auch die Bereitschaft Georg Bushs, dort über eine Beschleunigung der Wiener Verhandlungen zur konventionellen Abrüstung (CFE) zu sprechen, zugenommen zu haben. Cheney sprach am Wochenende von möglichen „Diskussionen über CFE II“. Andere Stimmen aus dem Pentagon halten es mittlerweile sogar für möglich, daß bereits in der ersten Verhandlungsrunde die bisher von Bush angebotene Reduzierung um 35.000 US-Soldaten in Europa auf 75.000 aufzustocken. Denn das vor einem Jahr noch vorgebrachte Argument der US-Stabschefs, das eine solche Truppenreduzierung angesichts der kombinierten Truppenstärke der Sowjetunion und der Warschauer Pakt-Staaten eine Verteidigung Westeuropas gefährde, scheint angesichts der Ereignisse in Osteuropa längst zum Anachronismus geworden.
Nach Monaten des Zweifels, scheint sich die Bush -Administration nun wirklich auf die veränderten Rahmenbedingungen in Europa einlassen und daheim haushaltspolitisch ausnutzen zu wollen. Entscheiden über den wirklichen Umfang der Kürzungen des Militärhaushalts werden allerdings die Mitglieder des Kongresses. Und wenn das absurde partikularistische Scharmützel bei den diesjährigen Budgetverhandlungen im Kongreß der Maßstab ist, dann sind die USA von der jetzt vorgeschlagenen Kürzung ihres Militärhaushalts noch so weit entfernt, wie von einer Lösung ihres Haushaltsdefizits.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen