Kulturpolitik: Schauspielhaus-Chef wirft hin
Hamburgs neuer Kultursenator Reinhard Stuth beklagt sein erstes Opfer: Friedrich Schirmer, Chef des größten deutschen Sprechtheaters, geht zum Monatsende. Als Motiv nennt er harsche Sparvorgaben.
Friedrich Schirmer, Intendant des Hamburger Deutschen Schauspielhauses, hat am Dienstag seinen Rücktritt erklärt. Damit zog er die Konsequenz aus einer Aufsichtsratssitzung am am 8. September, auf der der Wirtschaftsplan für die Spielzeit 2010/2011 beschlossen worden war. Dort sei die Umsetzung von Einsparungen beschlossen worden, die er nicht mittragen könne, ließ Schirmer mitteilen. Konkret handelt es sich um 330.000 Euro im Jahr, um die die staatlichen Zuschüsse gekürzt werden. Er werde die kommende Spielzeit "nicht mit einem ausgeglichenen Haushalt beginnen können", teilte Schirmer mit. Daher beende er seinen Vertrag zum 30. September.
Und während sich der seit dem 25. August amtierende Kultursenator Reinhard Stuth (CDU) vor allem darüber freute, dass Schirmer "auf Ansprüche aus seinem bestehenden Vertrag verzichte" - sprich: früher aussteige und dem Senat so bares Geld spare, zog Schirmer eine eher düstere Bilanz der vergangenen anderthalb Jahre. Schon Ex-Kultursenatorin Karin von Welck (parteilos) habe ihm finanzielle Zusagen, die 2008 mit seiner Vertragsverlängerung bis 2015 einhergegangen seien, nicht eingehalten. Nun seien aber - laut Kulturbehörden-Sprecher Karl-Olaf Petters allerdings bereits Ende 2009 beschlossene - Kürzungen um jährlich 330.000 Euro hinzugekommen. Umzusetzen wären die von der jüngst begonnen Spielzeit 2010/2011 an, und hierzu sah sich Schirmer nicht in der Lage.
Schon in den vergangenen Monaten hatte es Diskussionen um Finanzierung und Ausstattung des Schauspielhauses gegeben: So hatte der Senat die Sanierung der Bühnenmaschinerie kürzlich um ein weiteres Jahr auf Mitte 2012 verschoben - und das, obwohl der TÜV Nord erhebliche Bedenken angemeldet hatte. Stetig war auch der vollständige Ausgleich der Tarifsteigerungen für die Theaterbediensteten ein Streitthema gewesen. Und während Schirmers Regisseurs- und Stückauswahl in den letzten Jahren als immer mittelmäßiger gegolten hatte, hatte das von Klaus Schumacher geleitete Junge Schauspielhaus - erklärtes Hätschelkind von Ex-Kultursenatorin Karin von Welck - Ruhm und hohe Auslastungszahlen eingestrichen.
Trotz seine mäßigen Erfolge hatte Schirmer, der am Stuttgarter Staatstheater als innovativer Talentscout gegolten hatte, Karin von Welck öffentlich in die Schranken gewiesen, als sie 2008 die Verlesung Hamburger Millionärsnamen in Volker Löschs "Marat" verhindern wollte.
Gestern allerdings wollte sich Schirmer nicht persönlich zu den Motiven seines Rücktritts äußern. Er habe die Kulturbehörde seit Jahren auf die Unterfinanzierung des Schauspielhauses hingewiesen und ziehe jetzt die Konsequenz, ließ er mitteilen. Und während Stuth eben diese Unterfinanzierung leugnete, fand die kulturpolitische Sprecherin der SPD, Christel Oldenburg, Schirmers Entscheidung nachvollziehbar. Sie werfe "einen Schatten auf die Kulturmetropole Hamburg", sagte sie. Anna Gosche, kulturpolitische Sprecherin der Hamburger FDP-Fraktion, bescheinigte Schirmer gar "Mut und visionäre Kraft". Das Alarmsignal seines Rücktritts "darf nicht folgenlos bleiben", sagte sie: Hamburg brauche ein kulturelles Strukturkonzept, das "Qualität und Bestand der gesamten kulturellen Leuchttürme der Stadt sichert".
Ob es ein solches geben werde, sagte Stuth gestern nicht. Er ließ lediglich mitteilen, dass Jack Kurfess, derzeit kaufmännischer Geschäftsführer des Schauspielhauses, Interims-Intendant werde. Bis wann er einen neuen Intendanten zu küren gedenke, sagte Stuth nicht. Auch darüber, ob der Rücktritt die Diskussion über die von Karin von Welck angeblich im Scherz kürzlich angebotene Schließung des Schauspielhauses wieder befeuern werde, äußerte er sich nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind