: Kulturkampf tobt durchs Rote Rathaus
■ Geschätzte 2.500 städtische Kulturschaffende besetzten gestern das Rote Rathaus Protest gegen Entlassungen zwecks Säuberung der kulturellen Einrichtungen
Ost-Berlin. Geradezu dankbar müsse man dem Magistrat für seine Aktion „Besen“ sein, fand einer der Aufgebrachten, denn jetzt wache man endlich wieder auf. Immerhin hatte ein Magistratsbeschluß im Laufe des gestrigen Tages an die 2.500 widerstandswillige kulturschaffende Besetzer ins Rote Rathaus gebracht. Oberbürgermeister Tino Schwierzina war dadurch gezwungen, am späten Nachmittag eine Magistratssondersitzung einzuberufen. Der umstrittene Beschluß, wonach nun auch alle Mitarbeiter städtischer Kultureinrichtungen auf ihre Demokratietauglichkeit überprüft werden, sollte „überarbeitet“ werden. Womit man bis Redaktionsschluß noch nicht fertig war.
Am Mittwoch war an „alle Dienstkräfte in den Gehaltsgruppen 10 bis 15“ in den städtischen Kultureinrichtungen ein Schreiben der Magistratsverwaltung verteilt worden. Dieses setzte die Mitarbeiter davon in Kenntnis, daß ihr Arbeitsverhältnis nunmehr „befristet“ sei. Jeder könne sich aber auf seine eigene Stelle wieder neu bewerben. Betroffen von diesen faktischen Kündigungen sind alle Direktoren und Intendanten und ein hoher Anteil der Mitarbeiter der Volksbühne, des Maxim-Gorki-Theaters, der Sternwarte, der Bibliotheken, der städtischen Museen, der Berliner Festtage, des Kulturparks, des Tierparks Berlin, der Archenholt -Sternwarte, der Jugendklubs, der Kulturhäuser, der Büros für architekturbezogene Kunst, der Kulturverwaltung und auch der Kinos. „Gleiches Unrecht für alle“, wie der nun ebenfalls befristete Volksbühnen-Intendant Rödel wetterte für insgesamt einige tausend Hoch- und Fachschulabsolventen, die in die entsprechenden Gehaltsgruppen eingestuft sind, soweit sie nicht als künstlerisches Personal Gagenverträge haben. Dennoch solidarisierten sich auch diese bis jetzt Davongekommenen mit den zu säubernden Kollegen.
Schon zu Beginn der Besetzung am Morgen erinnerten sich die Kulturkämpfer daran, daß es nicht nur ausgerechnet sie waren, die die legendäre Demo am 4. November am Alexanderplatz organisiert hatten, man fand überhaupt wieder, daß „wir“ das Volk sind, das sich auch von diesem Magistrat nicht bevormunden ließe. Unter Androhung der Fortsetzung der Besetzung forderte man deshalb nicht nur die Rücknahme des Beschlusses, sondern auch den Kopf des vermeintlich arbeitsrechtsbrecherischen SPD-Innenstadtrats Thomas Krüger. Vor allem aber wollte der theatralische Wir -sind-das-Volk(s)-Zorn dessen stellvertretenden Hintergrund -Souffleur wieder zurück in seine westliche Senatsinnenverwaltung schicken.
grr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen