Kulturhauptstadt Istanbul: Eine europäische Stadt
Um in ihrer ganzen Größe und Bedeutung wahrgenommen zu werden, entdeckt die Kulturhauptstadt Istanbul ihr osmanisches wie ihr westliches Erbe.
ISTANBUL taz | Auf die Frage, welche Stadt die größte Europas ist, wird in deutschen Schulen vermutlich auf London oder Paris getippt. Kaum jemand denkt dabei an Istanbul, obwohl in der Metropole am Bosporus mit 15 bis 17 Millionen wesentlich mehr Menschen leben als in der britischen oder französischen Hauptstadt. "Genau das wollen wir ändern", sagt Yilmaz Kurt, Generalmanager für Istanbuls Auftritt als europäische Kulturhauptstadt 2010 als Erstes, wenn er gefragt wird, was die wichtigste Botschaft der Veranstaltungen sein soll. "Wir werden zeigen, dass Istanbul eine durch und durch europäische Stadt ist, natürlich mit seinen eigenen Traditionen."
Um diese Botschaft möglichst flächendeckend in Europa zu verbreiten, haben die Stadt und der türkische Staat keine Kosten gescheut. Die Macher der Kulturhauptstadt Istanbul können, verglichen mit den anderen beiden europäischen Kulturhauptstädten für 2010, Pécs in Ungarn und dem Ruhrgebiet mit Essen als Zentrum, auf ein enormes Budget zugreifen. Rund 250 Millionen Euro, bestätigt Kurt, können die Veranstalter über drei Jahre verteilt, ausgeben. Essen muss mit 60 Millionen auskommen, mit dem vergleichsweise kleinen Pécs suchten die Istanbuler Organisatoren lange nach einem gemeinsamen Projekt, dass auch im Rahmen von deren Möglichkeiten zu realisieren ist.
Entsprechend üppig sieht das Istanbuler Programm aus. Allein der Katalog, aufwendig auf Hochglanzpapier gedruckt, ist 180 Seiten stark und listet mehr als 400 Projekte, Ideen und Veranstaltungen auf, die einen Besuch in Istanbul im kommenden Jahr zu einem kulturellen Highlight machen sollen. Kritiker werfen den Veranstaltern allerdings vor, sie würden unter dem Etikett Kulturhauptstadt eine Mogelpackung verkaufen. "Rund 70 Prozent des Geldes werden für Vorhaben ausgegeben, die die Stadt sowieso hätte anpacken müssen", lästerten verschiedene Zeitungen.
Dazu zählen vor allem Restaurierungs- und Instandsetzungsarbeiten an den bekanntesten Baudenkmälern der Stadt. So wird die Restaurierung der berühmten Kuppel der Hagia Sophia, der ehemals größten christlichen Kirche überhaupt, genauso aus dem Kulturhauptstadtfonds bezahlt wie Instandsetzungsarbeiten am Topkapi-Palast, dem weitläufigen Areal, von dem aus die Sultane das Osmanische Reich jahrhundertelang regierten, und auch die Runderneuerung des Istanbuler Kulturzentrums, an dem seit Jahren dringende Reparaturen verschleppt wurden, ist auch im Budget enthalten.
Yilmaz Kurt bestreitet nicht, dass viel von dem Geld für Bauprojekte eingeplant ist, hält diese Schwerpunktsetzung aber auch für gerechtfertigt. Schließlich seien es ja gerade die architektonischen Zeugnisse der Vergangenheit der Stadt, die alle Besucher am meisten interessieren.
Tatsächlich ist es noch nicht lange her, dass die Stadt selbst erst wieder begann, ein Bewusstsein für ihre eigene Geschichte zu entwickeln. Bis in die 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts rotteten selbst die wichtigsten osmanischen Bauten vor sich hin, die Zeugnisse von Byzanz waren erst recht vergessen. Vor allem die Besinnung auf Byzanz und damit auch der multireligiösen und multiethnischen Geschichte Istanbuls ist eine ganz neue Idee in der Stadt.
Yilmaz Kurt ist denn auch bemüht, besonders solche Projekte hervorzuheben, die die Minderheiten betreffen. Eine Synagoge wird restauriert, ein armenisches Gemeindehaus instand gesetzt. Bei den Bauarbeiten der Metro stieß man zufällig auf den ältesten byzantinischen Hafen der Stadt. Über dreißig historische Schiffe konnten im lehmigen Untergrund geborgen werden und sollen nun auch ausgestellt werden.
Bei den Musik und Theaterveranstaltungen überwiegen solche, die den westlichen kulturellen Bezug der Stadt hervorheben sollen. Große Oper, klassische Konzerte im Vorhof des Topkapi-Palastes und ein Theaterfestival, ausgerichtet von Universitäten verschiedener europäischer Länder. Mit Essen und Pécs sind gemeinsame Literatur- und Theaterveranstaltungen geplant, schon jetzt werden die neu entstandenen Freundschaften zwischen den unterschiedlichsten Leuten aus den drei Kulturhauptstädten gepriesen. Denn Istanbul, Istanbuler Künstler, Designer, Modemacher, Filmer, kurz die gesamte Kreativbranche soll in Europa besser vernetzt werden.
Natürlich nutzt die Stadt auch werbewirksam ihren bekanntesten Literaten. Nobelpreisträger Orhan Pamuk will im kommenden Jahr sein lange geplantes privates "Museum der Unschuld" fertigstellen, sodass man das Projekt schnell noch im offiziellen Katalog präsentieren konnte. Die spektakulärste Veranstaltung für Yilmaz Kurt aber wird eine Regatta historischer Großsegler, die Ende Mai im Bosporus ihren Zieleinlauf hat. Eine Woche lang wird man dann die Schiffe vor der historischen Kulisse der osmanischen Paläste bewundern können. "Kein Besucher", meint Yilmaz Bey, "sollte sich dieses Spektakel entgehen lassen." Das Ziel der Kulturhauptstadt ist damit klar vorgegeben: Istanbul soll im Bewusstsein der Europäer neu verankert und dadurch die Zahl der Besucher von jetzt jährlich acht Millionen möglichst verdoppelt werden.
Allein der Katalog, aufwendig auf Hochglanzpapier gedruckt, ist 180 Seiten stark und listet mehr als 400 Projekte, Ideen und Veranstaltungen auf, die einen Besuch zum kulturellen Highlight machen sollen.
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