Kulturelles Kapital: Zu denGuten
Hamburger Soundtrack
von Nils Schuhmacher
Als eine bekannte Tagesthemen-Moderatorin bei „3 nach Neun“ von der jungen Caren Miosga aus Peine zu berichten wusste, dass sie einst Hüsker Dü im Jugendzentrum Kornstraße in Hannover gesehen habe, da zeigte sich: Dass diese beiden zu den Guten gehören, ist keine bloße Vermutung.
Die Replik ihres Gesprächspartners bestätigte eher einen Verdacht. Giovanni di Lorenzo wollte ebenfalls mit kulturellem Kapital punkten, verhob sich aber an der von ihm nach eigenen Angaben hochgeschätzten Gruppe „Ton, Steine und Scherben“. Und entpuppte sich auf diese Weise als Wichtigtuer.
Wie die Sache weiterging, ist bekannt: Ton, Steine, Scherben, Hüsker und Dü gehen längst getrennte Wege und leben nur noch als Farce oder in der Erinnerung fort, während neue Bands die Menschheit mit Geisteshaltungen wie folgenden malträtieren: „Kritische Texte beschäftigen sich mit dem Leben, Ängsten und Geschichten unserer Zeit, das kommt krass daher, hat jedoch den positiven Aspekt, den Menschen aus der Seele zu sprechen!“ Was – sollte es stimmen – auch auf die Menschen ein zweifelhaftes Licht wirft.
Dann lieber weiter über die Liebe singen, aber richtig, nicht kitischig, sondern dekonstruktivistisch oder mindestens politisiert. So wie etwa die erwähnten Bands, die das eine oder andere Lied über die homosexuelle Liebe parat hatten, was in bestimmten Zeiten und Szenen ja durchaus einen subversiven Charakter besaß. Oder das ganze Paket aus Liebe, „friendship“, Kindern und den dunklen Seiten großstädtischer Lebensart anliefern.
So wie Kimya Dawson (27. 4., Clubheim im Schanzenpark), die Hälfte des New Yorker Antifolk-Duos The Moldy Peaches mit ihren tollen Klappersongs zwischen struppiger Prä-Adoleszenz und Low-Fi-mäßiger Schrulligkeit. Möchte man später auch mal sagen, dass man sie früher im Jugendzentrum gesehen hat. Aber man wird wohl nicht gefragt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen