: Kultur und Selbstbewußtsein
■ Gespräch mit Weserburg-Direktor Thomas Deecke und Jürgen Waller, HfK-Rektor, Initiator des „Kulturforum '90“
Kulturtermin in der Hochschule für Künste, anwesend ein Kunst-Rektor, ein Weserburg-Direktor, eine taz-Journalistin am großen Konferenztisch im weiten Nüchtern-Büro, wo Sekretärinnen in dunkelblauen Kostümen Kaffee oder Selters reichen und dann nicht mehr stören. Anlaß des Treffens: Das „Kulturforum '90“, initiiert von Jürgen Waller, in dem „alle wichtigen kulturellen Institutionen der Stadt Bremen“ vertreten sind, das sind neben Jürgen Waller und Thomas Deecke Herr Richter vom städtischen Theater, Herr Klostermeier vom städtischen Radio, Herr Salzmann von der Kunsthalle, Herr Landesmusikrat Bernbacher, Herr Kentrup von der Shakespeare Company, Herr Michelers vom VDS, Frau Gonsior vom Literaturkontor. Was will und soll das Kulturforum? Zum Beispiel eine Art Kulturmesse im Oktober. Und überhaupt. Zum Bekanntmachen werden die PressevertreterInnen einzeln bestellt. Weil: hier bitte den Mann mit Brille
Waller:... wir dachten, es kann dann jeder dumme Fragen stellen, ohne das Gefühl zu haben, daß sie dumm ist vor den andern - wenn man was nicht begriffen hat, weil es auch ziemlich schwierig ist.
Deecke:Und wir dürfen auch dumme Antworten geben.
taz:Und sie lassen sich auch, vermute ich mal, nicht anmerken, wenn ich dumm gefragt habe.
Waller:Nein, überhaupt nicht. Unser Ausgangspunkt ist also der miserable Kulturhaushalt dieser
Stadt: diese Nullkommaacht Prozent auf der einen Seite, und die Nichtachtung dessen, was hier in dieser Stadt passiert auf der andern Seite. Und da von den einzelnen Gruppierungen ständig Forderungen kamen, hat man uns auch gerne gegeneinander ausgespielt. Da haben wir gesagt, okay, jetzt setzen wir uns mal an einen Tisch. Wir wollen nicht argumentieren aus einer Lamento-Situation heraus, sondern aus einer Position der Stärke - wir sind doch die Figuren, die alle mal von außerhalb geholt worden sind, da waren sie top, und in dem Moment, wo sie die Stadtmauern durchschritten haben, waren sie Bremer Mittelmaß. Wir suchen also unsere Verbündeten im Kampf um die Erhöhung des Kulturetats, also auch die freien Gruppen.
taz:Nun fällt aber auf, daß auf ihrer Gremium-Liste außer der Shakespeare Company keine freie Gruppe dabei ist.
Waller:Wir haben uns zusammengefunden als Vertreter für, nicht. Das heißt, die Shakespeare Company ist Vertreterin für die freien Gruppen. hierhin den Mann mit Schnauzer
Deecke:Wir schließen niemand aus, im Gegenteil. Aber irgendwann war die Runde so groß... Nicht zuletzt entstanden ist das Kulturforum auch aus der kulturpolitischen Matinee -Reihe „Lebendige Stadt“ von der Shakespeare Company. Wir haben gesagt: Mensch, laß uns das zusammenschmeißen, wir haben doch
eigentlich dieselben Sorgen.
taz:Die Sorgen sind aber doch unterschiedlicher Art, betrachtet man mal die finanzielle Seite. Das Theater unter Tobias Richter hat ja nicht gerade unter Geldmangel zu leiden. Mann mit Brille
Waller:Ja, das kriegt aber trotz allem zu wenig, wenn man mal sieht, welchen Kampf es bedeutet hat, Kresnik hier zu halten.
Deecke: Was wir brauchen, ist eine bessere Infrastruktur, und die drückt sich natürlich in Geld aus. Ganz klar. Aber die muß sich auch ausdrücken in Bewußtsein. Ich bringe immer dasselbe Beispiel, aber es ist so überzeugend: Bremen macht immer noch nicht Reklame damit, daß der kleine Mercedes hier gebaut wird, sondern alle Leute verbinden das immer mit Stuttgart. Ja? Das ist ein Fehler. Werbetechnisch. Bremen begreift sich überhaupt nicht als Kulturstadt, sondern als Werften- oder Rüstung- oder Hochtechnologie- oder ichweißnichtwas- oder Flughafenstadt. Die Identität „alte Stadt mit neuer Kunst“, die ist noch nicht da, und daran liegt uns. Sogar der Senat hat festgestellt, daß Stadt -Identitäten sich heute immer stärker im kulturellen Bereich darstellen müssen.
Waller: Wedemeier sagt mir: Ja Junge, ich hab‘ aber doch soundsoviel Arbeitslose! Ich sag‘, wenn du wüßtest, Junge, wieviel Künstler unter dem Sozialsatz leben. Für die (Politiker/d.A.) ist die Kultur ein Goodwill.
Das ist aber eine Verpflichtung und steht im Grundgesetz. Die Politiker fragen uns nicht, wir werden überhaupt nicht in politische Prozesse miteinbezogen.
taz:Konkret: Was hat das Kulturforum '90 vor? hierhin Mann mit Brile
Waller: Wir werden am 6.Oktober eine ganze Menge Gruppen aus allen kulturellen Bremer Bereichen präsentieren, und zwar in der Eislaufhalle. Im Außenbereich machen wir Stände, eine Art Messe, da werden sich der Berufsverband, die GAK, die Verleger, Bremer Galerien, Rockgruppen, die Weserburg, das Theater, Dichter darstellen - alle, die das Tageslicht nicht zu scheuen brauchen, sag‘ ich jetzt mal etwas bösartig. Von der HfK wird es eine Modenschau geben, danach ein großes Künstlerfest. hier Mann mit Schnauzer
Deecke:Ansprechpartner ist natürlich die Politik, aber auch die interessierte Öffentlichkeit, die sich in kürzester Form einen Überblick über die Highlights verschaffen will. Es geht natürlich nicht nach dem Jekami-Prinzip, also jeder kann mitmachen, nicht.
Waller: Es geht um Kunst! Wir werden auch zwischen den Abtei
lungen Interviews machen mit den Politikern. Die sollen zu Wort kommen. Unser Gegner ist ja nicht der Kultursenator wir wollen ihm ja helfen, den Kulturetat zu erhöhen, indem wir die Argumente liefern. Und wir eröffnen den Wahlkampf damit. hier Mann mit Schnauzer
Deecke: In Anführungsstrichen. Wir sind eine qualifizierte Minderheit, und diese erkleckliche Minderheit hat ein Recht, in der Öffentlichkeit präsentiert zu werden und auf einen Anteil des Kuchens. hierhin Brillenmann
Waller:Wir werden auch nicht selbst interviewen, wer das macht, möchte ich noch nicht sagen. Ich kann mir vorstellen, daß der Herr Rosenbauer kommt, und der von Aspekte, wie heißt der gleich noch, von diesem unsäglichen ZDF -Städteturnier, wo sich die bremische Kultur dargestellt hat.
Deecke: Das war eigentlich auch der letzte Stein des Anstoßes, uns wütend zu machen. Das geht ja wohl nicht an, daß Bremen sich, auch in einer Nachmittagssendung, selbst diese sind wichtig, weil sie von sehr vielen Leuten komischerweise gesehen werden, daß sich Bremen darstellt mit
einem singenden Hochschul lehrer, gegen den sonst nichts zu sagen ist. Und daß der Bürgermeister gefragt wird, was es noch an Kultur in Bremen gibt, und er weiß es nicht.
taz:Wie ist eigentlich Ihre Kommunikation untereinander, es sind ja sehr verschiedene Herren im Forum zusammengefaßt? hierhin Schnauzermann
Deecke: Es gibt keinen Neid, keine Konkurrenz...
Waller:Im Gegenteil. Erstmal wegen dem Selbstbewußtsein jedes einzelnen Mitglieds dieser Runde; man kann ja sowas nicht machen ohne Selbstbewußtsein, nicht, wir wissen ja, was wir leisten, wir hören's ja dauernd außerhalb. Ich hab‘ meine Ausstellungen und werd‘ von außerhalb überall gefragt, nur in Bremen kräht kein Hahn nach mir. Das macht mich allmählich stinkesauer, muß ich dazusagen, ich hab mich für diese Stadt hier engagiert und hab auch 'ne Menge hier geleistet. Ich überleg‘ schon, ob ich abhaue, weil das frustriert allmählich. Ein Beispiel: Es soll eine Ausstellung „Bremer Junge Künstler“ gemacht werden; da streiten die sich um Leute, die sind fast so alt wie ich, die sie vor zehn Jahren mal als Bremer junge Künstler entdeckt haben, die gehen nicht in die Ateliers und sehen, was heute passiert. Das ist, was einen deprimiert. Wir haben gute junge Künstler, aber nein, es wird immer, Entschuldigung, auf die alten abgewrackten Daddies gesetzt. Fragen: clak
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen