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Kultur der WeihnachtshasserJingle Hell, Jingle Hell

Weihnachten ist wie der Kapitalismus: Es will überall sein. Dafür muss auch der Weihnachtshasser nach Hause geholt werden - mit Christmas-Songs.

Wundersame Wandlung durch Weihnachten: Snoop Dogg gelobt ein besseres Leben.

Wie der Kapitalismus selbst, so entsteht auch das Weihnachtsfest immer wieder aus seiner eigenen Krise heraus. Alle großen Weihnachtserzählungen erzählen davon, dass entweder Menschen vom allgemeinen Weihnachtsfest ausgeschlossen sind oder sich selbst ausgeschlossen haben wie Scrooge bei Charles Dickens, der den Geiz nicht überwinden konnte und dafür mit der schwersten Strafe belegt wurde, mit der Einsamkeit (und, damit verbunden, mit den Gespenstern seiner Gier).

Oder aber, das Weihnachtsfest steht ganz allgemein in Gefahr, weil es ein Grinch stehlen will, weil der Weihnachtsmann verunglückte, weil die Familie nicht zueinander kommt, weil die Teuerung das Fest ökonomisch unmöglich macht etc. Da Weihnachten ein Fest der Liebe ist, wie sie sich im Kapitalismus nun mal zeigen muss, nämlich in der Form des Tausches, ist seine eigentliche Erzählung zum einen die Verteidigung des Festes selber (und seine, sagen wir mal "keynesianische" oder populistische Reparatur, die unentwegt vonnöten ist: Its Frank-Capra-Time!) und zum anderen die Überzeugung und Heimholung des mehr oder weniger einsamen Weihnachtshassers. Da ist das Fest wie sein ökonomischer Unterbau: Es soll überall Weihnachten sein.

Die Dissidenten oder Ignoranten, vulgo "Weihnachtshasser", spielen also in der großen Weihnachtserzählung des medialisierten Kapitalismus eine wichtige Rolle. Wenn es sie nicht gäbe, müsste man sie erfinden. Wie die Klagen über den wieder einmal viel zu frühen Beginn der Weihnachtsauslagen in den Kauftempeln gehören ritueller Konsum von leichten Fällen von Weihnachtshasser-Ästhetik zur Vorweihnachtszeit: Loriots "Früher war mehr Lametta", Bölls "Und das nicht nur zur Weihnachtszeit" (für Gebildete) und die Comedy-Ableger des Motivs vom Ewig Dauernden Weihnachtsfest, Michael Curtin: "Der Club der Weihnachtshasser": "Wenn Weihnachten ein Mensch wäre, dann würde ich in einer nebligen Nacht rausgehen und ihm die Gurgel durchschneiden, und dann würde ich mich der Polizei stellen, und den Rest meines Lebens würde ich im Gefängnis Videos anschauen und wäre glücklich." Man kann es auch mit Selbstgedichtetem in Internet-Foren versuchen: "Liebe Kinder lasst es wissen/ Weihnachten wird bei uns beschissen/Der Wunschzettel dieses Jahr entfällt/weil Vater bekommt kein Weihnachtsgeld".

So tritt also neben den Mainstream des Weihnachtspop ein Nischenmarkt für die Weihnachtshasser. Eine Weihnachtshasserkultur. Mehr noch geht es freilich darum, dem Weihnachtspop-Mainstream durch Beigaben von Weihnachtshasser-Elementen den verlorenen Pep wiederzugeben. Weihnachtshasser-Pop (böse Lieder, satirische Filme, frivole Reime, Weihnachts-Comedys oder Nikolaus-Gewaltpornos) funktionieren in diesem Zusammenhang schlicht als Blitzableiter, so wie Kinder, die aufs Christkind warten, sich schon einmal gerne die Zeit mit obszönen Gedichten vertreiben. Auf fünf schmerzhaft süßliche Weihnachtsfilme im Fernsehprogramm muss todsicher einer kommen, der monströse, alberne, blutige, satirische oder absurde Weihnachtsszenen beinhaltet. Im Zentrum des Festes liegt irgendwas Heiliges. Und irgendwas verdammt Höllisches.

Was zwischen der Magie und dem Horror von Weihnachten vermitteln kann, ist die Musik. Und auch davon gibt es zu Weihnachten pappsüß reichlich wie von allem anderen. Und sie wird umso wichtiger, als eine Grauzone zwischen Weihnachts-Mainstream und Weihnachtshassertum popindustriell immer stärker ausgebaut wird, eine Grauzone, in der weniger reales Weihnachtshassertum als schräger, verfremdeter, dislozierter, ironisierter und sonst wie postmodernisierter Weihnachtspop formuliert wird. In der guten alten Zeit der Popmusik feierte jemand, der im Mainstream angelangt war, seinen Erfolg mit der Herausgabe eines Weihnachtsalbums. Zur konkreten Geste wurde das nach den Bing Crosbys, Frank Sinatras oder Doris Days bis Elvis Presley.

Presley und einige seiner Zeitgenossen im Rock n Roll trugen ihr musikalisches Idiom (wenn natürlich auch ohne Hüftschwünge und andere sexuellen Gesten) in den weihnachtlichen Sound. Die nächste Generation war eigenwilliger. 1964 veröffentlichten die Beach Boys das "Beach Boys Christmas Album", von dem niemand mehr wirklich zu sagen weiß, ob es Mainstream oder Weihnachts-Dissidenz, Affirmation oder Eigensinn bietet. Es war in jedem Fall Weihnachten und Beat, nicht mehr Weihnachten statt Rock n Roll. Seit dieser Zeit gehört das "Christmas Album" zu einer immerwährenden Verhandlung zwischen beiden Sphären, Wagnis und Ärgernis zwischen Pop und Mainstream.

Die Erneuerung des Bündnisses zwischen Familie, Mythos und Kapitalismus gelingt eben jenen am leichtesten, die unschuldig erscheinen. Das sind auf der einen Seite Kinderstars oder Leute, die sich von einer solchen Vergangenheit nie ganz gelöst haben - wie Céline Dion, deren Weihnachtsalbum "These Are Special Times" aus dem Jahr 1998 zur zweitmeistverkauften Platte des Genres wurde. "White Christmas" ist nicht zu schlagen, auch Phil Spectors legendäres "Christmas Album" von 1963 fällt in diese Kategorie. Doch das im Original meistverkaufte Christmas-Album scheint "Noel" von Josh Groban zu sein, das es auf Anhieb auf 25 Millionen Verkäufe brachte. Es versammelt die traditionellen und neuen Klassiker in der perfekten Form reiner Aussagelosigkeit, in der "Little Drummer Boy" und "Ave Maria" nahtlos zueinander passen: Wozu etwas einpacken, wenn das Einwickelpapier schon Weihnachtsgeschenk ist. Das Weihnachtsalbum von Josh Groban versammelt alle soziologischen Apokalypsen.

Christmas-Alben haben nicht zuletzt für die afroamerikanische Musik eine besondere Bedeutung, und insbesondere hier ist die Spannung zwischen Dissidenz und Mainstream spürbar als ein Kreisen zwischen Gospel-Wurzeln, teuflischer Straßenmusik und Familien-Innerlichkeit. In einer Vielzahl der Projekte geht es dabei darum, die politische und, vor allem, sexuelle Provokation aus dem Angebot zu nehmen und einen Transfer der körperlichen Energie des Funk in die Mitte der schwarzen (und auch mancher weißer) Kleinbürgerfamilie vorzunehmen: James Brown als Santa Claus statt als Sex Machine, Ashanti mit großen Augen unterm Weihnachtsbaum statt in Dessous, Gangsta-Rapper, die sich dem Herrn und ihrer Familie offenbaren und ein besseres Leben geloben ("Christmas On Death Row" von Snoop Dogg). Die Anklage gegen die politische und rassistische Produktion des Ghettos weicht der Sehnsucht nach dem wärmenden Innenraum.

Während es also einerseits dem einen oder anderen rebel hero von einst gelang, sich via Christmas-Album ins Herz der Heiligen Familie zu schleichen, gilt andererseits der große Christmas-Song zugleich als künstlerische Herausforderung wie als cash cow des Business. Wer ein "Last Christmas" geschrieben hat, braucht sich um die Preise von Weihnachtsbraten keine Sorgen zu machen. Auch ein "anrüchiges" musikalisches Genre wie Hiphop gelangt durch den Weihnachtsdiskurs in die bürgerlich-christliche Familie.

Auch für die scheinbar eher weihnachtsresistenten Idiome wie Punk und "Neue deutsche Welle" waren Weihnachtsalben eine Art ironischer Dislozierung, aber selbst auf dem Sampler "Denk Daran! Stille Macht Düsseldorf" aus dem Jahr 1980 weiß man im Nachhinein nicht mehr so genau, wer da auf wen hereinfällt. Dasselbe gilt übrigens, nur genau andersherum, für ein Segment, das man hierzulande nicht so recht wahrnimmt: In den USA bringen die christlichen Mainstream-Pop-Bands und -Sänger regelmäßig die frohe Botschaft auch und besonders in Form von Christmas-Alben unters Volk. In der Mitte scheinen ganz besonders Heavy Metal und Country problemlos Christmas-Album-kompatibel zu sein.

Warum hat eigentlich noch niemand eine Geschichte der Christmas-Alben geschrieben? Zu peinlich? Leichter tut sich da ein Label wie Trikont, das mit der gewohnten musikhistorischen Akribie auf die Spurensuche nach "schrägen" Christmas-Songs geht und es dem Hörer selbst überlässt, welchen Stellenwert er dem jeweiligen Track in der Verhandlungszone zwischen Weihnachtsmainstream und -dissidenz zuordnet. Aber vielleicht erinnern diese Rückblicke auch schon daran, wie sehr das Geschichte ist. Etwas "schräge" Weihnachtsmusik schien einst das letzte Mittel, zum Ritual der Intimisierung des Kapitalismus in der Familie und ihrer kurzfristigen Heiligung (mit anschließender Katastrophe) eine rettende Distanz einzunehmen.

In dieser neuen Sphäre zwischen den Sphären, Affirmation und Abwehr, Spott und Sehnsucht, kommt jene dritte Variante immer wieder ins Spiel, die freilich auch jedem Fernsehprediger Material liefert. Man könnte sie unter dem Motto "Da war doch noch was?" zusammenfassen. Eine Frage nach dem spirituellen Untergrund des kapitalistischen Festes, nach dem christlichen Mythos, dem Glauben, der Liebe, der Hoffnung, und in aller Regel wird hier aus dem reinen Kitsch der ersten Ordnung ein Vermischungskitsch der zweiten. Daher singt Brian Wilson mehr als 20 Jahre nach dem Weihnachtsalbum der Beach Boys auf "What I really Want for Christmas" auch Zeilen wie: "what I really want for christmas time is peace on earth".

Mittlerweile gilt es zu unterscheiden zwischen den klassischen Weihnachtsalben (die ewigen Klassiker im eigenen Sound, in einer immer gleichen Mischung aus Tränendrückern und Weltumarmern, Kinderglück und Melodrama), den weihnachtlichen Konzeptalben, die Liebesgeschichten und Weltbotschaften verweihnachtlichen, den "schrägen" Weihnachtsalben mit ihren zunächst überraschenden Crossovern und schließlich den wenigen echten Weihnachtshasser-Alben.

Verbreiteter als Letztere sind einzelne Lieder mit sarkastisch bis zynischem Bezug auf das Fest. Das mag aufrecht rüpelhaft klingen wie bei der Protopunkband The Sonics und ihrem "Dont Believe in Santa" oder so selbstironisch wie in "Pregnant at Christmas". Aber im Jahr 2008 kann man eine definitive Feststellung treffen: Mit Weihnachtshasserliedern landet man keine Hits. Mit dem alten Scheiß schon. Wahrscheinlich können wir gar nicht anders, als die Renaissance der klassischen Weihnachtsalben als "Symptom" zu akzeptieren und hinnehmen, dass junge Leute von Mariah Careys Weihnachtsalbum schwärmen.

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