Kultur-Güter: Blindes Schulterklopfen
Senat und Parlament feiern sich und Bremen als Vorreiter in Sachen Provenienzforschung. Der vollen Wahrheit entspricht das allerdings nicht.
BREMEN taz | Das Schulterklopfen ist parteiübergreifend: Sämtliche Bürgerschafts-Fraktionen loben Bremens „vorbildliches Handeln“ in Sachen Provenienzforschung. Im Gegensatz zu Bayern, sagt Claas Rohmeyer von der CDU mit Blick auf den Fall Gurlitt, seien die Bremer Einrichtungen und Behörden bestens aufgestellt, um mit der Problematik NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter umzugehen.
Die Linkspartei zeigt sich „beeindruckt“, wie umfassend in Bremen Provenienzen erforscht würden. Der Senat selbst betont, die hiesigen Kultureinrichtungen hätten sich „zum Teil zu einem sehr frühen Zeitpunkt dem Thema offensiv gestellt“.
In einer Stellungnahme des Senats, die vergangene Woche Anlass zu einer Bürgerschafts-Debatte war, heißt es: „Der Senat bewertet die Erfahrungen in Bremen als durchaus positiv.“ All dies zeugt von einem eher kurzen Gedächtnis.
Dabei ist es jetzt gerade einmal fünf Jahre her, dass der erste Bremer Museumsdirektor begann, an die Überprüfung seiner Bestände denken. Das war Rainer Stamm von den vergleichsweise überschaubaren Kunstsammlungen Böttcherstraße. Noch 2010 lehnte das Kulturressort einen Antrag der Kunsthalle auf 10.000 Euro für Provenienzforschung ab.
Dass seither Bewegung in solche Bemühungen gekommen ist, liegt wesentlich an außerbremischen Faktoren: An den ständig aufgestockten und offensiv offerierten Mitteln der Bundesregierung für Provenienzforschung. Doch noch immer ist der Löwenanteil der Bremer Museumsbestände keineswegs durchforstet – was freilich auch eine mühsame Arbeit darstellt.
Eine Ausnahme, die der Senat als bundesweit wegweisend heraus stellt, ist in der Tat die Staats und Universitätsbibliothek. Doch auch dort wurden die Bemühungen, ehemals jüdischen Besitz zu identifizieren und einen bewussten Umgang mit ihm zu pflegen, jahrelang massiv unterdrückt. Zu den engagierten BibliothekarInnen, die zurück gepfiffen wurden, gehörte Elisabeth Dickmann, damals Leiterin der Abteilung für Gesellschaftswissenschaften. Schon Ende der 1970er hatte sie die Bestände auf Raubgut überprüft – bis Bibliotheksdirektor Hans-Albrecht Koch alle weiteren Aktivitäten unterbunden habe, so Dickmann.
Sie musste die Bibliothek verlassen. Als das Haus zehn Jahre später, aufgeschreckt durch die Petition eines Nutzers, der über den zeitgenössischen Vermerk „J.A.“ für „Judenauktion“ in einzelnen Büchern gestolpert war, nochmals mit Nachforschungen begann, mussten die Mitarbeiter von vorn anfangen. „Unsere Erkenntnisse und Karteikarten waren stillschweigend entsorgt worden“, berichtet Dickmann.
Dabei seien bereits 95 Prozent der Werke erfasst gewesen, die anschließend erneut mühsam als Raubgut identifiziert wurden. Welcher Geist in der Bibliothek herrschte, sagt Dickmann, zeige auch die Schließung einer Ausstellung zum Auschwitz-Befreiungstag 1985 im Foyer: Sie sei noch vor der Eröffnung abgeräumt worden.
Aufschlussreich sind auch die Anmerkungen der kulturpolitischen Sprecherin der SPD, Karin Garling, zum Thema. Dass Provenienzforschung in Bremen „schon sehr lange ein Thema“ sei, „belegt“ sie mit Hinweis auf die Bemühungen um die Baldin-Sammlung. Dass es sich hierbei um die – berechtigte – Forderung nach Rückgaben kriegsbedingter Kunsthallen-Verluste in Richtung Bremen handelt, und keineswegs um die Aufklärung eigener NS-Profite, fällt dabei offenbar nicht auf. Auch über die Problematik privaten Kunstbesitzes fällt in der Bürgerschaft kein Wort, ebenso wenig wie über die vor fünf Jahren von den Grünen gestartete Initiative, einen Bremer Restitutions-Fonds zu gründen.
Stadt, Unternehmen und BürgerInnen sollen sich hier finanziell engagieren, um den Bremer Museen bei künftigen Restitutionsfällen zu helfen. „Wir haben eine gemeinsame moralische Verantwortung“, betonte die damalige kulturpolitische Sprecherin der Grünen, Karin Krusche, 2009 – doch einen solchen Fonds gibt es bis heute nicht. Gerade, weil der große Bereich privater und mittlerweile vererbter Arisierungsgewinne nur in minimalem Umfang aufklärbar ist, wäre er ein geeignetes Mittel zivilgesellschaftlicher Beteiligung gewesen.
Warum wird dieser öffentlich-private Ansatz, der beispielsweise bei der Entschädigung von Zwangsarbeitern produktiv war, nicht weiter verfolgt? „Für den Staat ist es schwierig, präventiv von Privatleuten Geld zu sammeln“, sagt Krusches Nachfolger bei den Grünen, Carsten Werner, auf Nachfrage.
Die Gründung einer entsprechenden Stiftung wäre angesichts der Zinslage derzeit ungünstig, aber zugleich erscheint sie als das einzige juristisch mögliche Modell. Dabei ist der Mittelbedarf überschaubar: Bislang gab es in Bremer Museen lediglich zwölf Restitutionen beziehungsweise Entschädigungen von Erben.
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