Kultgeschäft in Charlottenburg macht zu: Resterampe für Intellektuelle
Am Wochenende schließt der Zweitausendeins-Laden in der Kantstraße, der 1990 zu den ersten Großstadtentdeckungen unserer Autorin gehörte. Ein letzter Besuch.
In den breiten Schaufenstern des Zweitausendeins-Ladens in der Kantstraße scheint die Zeit stehen geblieben: Comics aus den Neunzigern von „Fritz the Cat“-Schöpfer Robert Crumb, Douglas Adams’ „Per Anhalter durch die Galaxis“ werden angepriesen, daneben DVDs von Jazz-Größen im Livekonzert und die Edition „Der deutsche Film“. Nur die Plakate auf den Glasscheiben stören die Retrostimmung: „Räumungsverkauf wg. Geschäftsaufgabe, 30 % auf alles!“ Jetzt bleibt nur noch der Laden in der Friedrichstraße. Und die „größte Filiale“ im Internet. Zum 7. Februar ist jedenfalls der Zweitausendeins-Laden im Herzen der City-West Geschichte – und damit auch ein Teil meiner ersten (West-)Berlin-Erfahrungen.
1990 war das Jahr, in dem ich, 16-jährig, zum dritten Mal die Sommerferien in Berlin verbrachte. Diesmal kam ich nicht mehr als staunendes bayerisches Landei, sondern gewissermaßen als Eingeweihte. Dank meiner Zehlendorfer Freundin wusste ich, dass es am Tauentzien die billigsten Pali-Tücher gab, sich im Schwarzen Café unglaublich coole Studenten trafen – und dass es sich lohnte, mit dem Döner-Mann auf der Kantstraße zu flirten: Dann gab es triefsüße Baklava.
1990 also steuerten wir gleich am ersten Tag meines Besuchs die Kantstraße an. Erst der obligate Döner, dann das Programm des „Schlüter“-Kinos an der Ecke Schlüter-/Pestalozzistraße studiert. Schnell noch bei Condomi rein und kichernd „Glow in the Dark“-Kondome gekauft (der Film „Skin Deep“ war damals ein großer Hit). Und dann: natürlich zu Zweitausendeins! Und erst sehr viel später, mit ausgebeulten Taschen und nach ausgesprochen unterhaltsamen Beratungsgesprächen, wieder raus.
Zweitausendeins, das war Trash, linke Gegenkultur und klassische Bildung. Alles durcheinander, gestapelt in einem engen, weißen Ladenlokal. Alles für wenig Geld. Dort, in der Kantstraße, entdeckte ich Romane von Boris Vian, Fritz the Cat, hortete Lou-Reed-Schallplatten, Eckhard-Henscheid-Schwarten zum Vorzugspreis. Schon im Vorraum des Kant Kinos, bevor der Film losging, beugten wir uns über das Merkheft – das eng bedruckte Zweitausendeins-Programm, das Orientierung versprach im weitläufigen Sortiment zwischen verramschten Klassikern, musikalischen Kuriosa und linkem Szenezeug.
An diesem Mittwochabend stehen in der Kantstraße zwei traurige Menschen in übergroßen Wollpullis, ein bisschen wie aus der Zeit gefallen. Stumm kassieren sie, ebenso stumm, beinahe betreten, wandelt eine Handvoll Kunden durch die kläglichen Reste. Die Musik ist längst weg, es bleiben wenige Bücher, aber viele Filme übrig. Jetzt muss alles raus. Auch der Schund, die 3-CD-Box „Folklore der Anden“ oder „Weihnachten mit Horst Blue“.
„Das war’s jetzt also“, sage ich zu dem Verkäufer, der stumm meine Ausbeute in eine Tüte packt. Er nickt abwesend. „Hier habe ich mir schon vor 24 Jahren die Taschen vollgepackt“, plappere ich weiter, weil mir nichts Besseres einfällt. „Und danach immer ins Kant Kino, oder ins Schlüter. Gibt’s ja auch schon lang nicht mehr.“ Er sieht mich an. „Tja“ – sagt er langsam und richtet sich auf. „Aus die Maus. Willste ’nen Schuber?“
Mit einer Handvoll DVDs im schwarzen Pappschuber trete ich wieder hinaus auf die Kantstraße. Der Döner hat einem Vietnamesen Platz gemacht, und wo früher Condomi war, schütteln Touristen Bettdecken aus dem Fenster ihrer „Berlin Appartements“. Ob der schrabbelige Erotikladen an der Ecke Leibnizstraße früher schon da war, weiß ich nicht mehr. 1990 ist eben schon sehr lange her.
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