Kuhlbrodts Blogphilosophie: Nebenberuf Blogger
Zustimmendes Klickgemurmel: In der Geborgenheit des Blograums ist auch das Nebenbei gut aufgehoben. Ein Bericht über den Anfang des tazblogs "November 07".
Seit mehr als einem Jahr mache ich nun schon ein Blog und denke immer noch darüber nach, ob es besser "der" oder "das" Blog heißen müsste. Ich tendiere inzwischen dazu, lieber "das Blog" zu sagen. Anke, von meinem Lieblingsblog "Beton & Garten", schreibt meist "das Blog". Bei ihr sieht "das Blog" als Schriftzug sehr sympathisch aus.
Das Blog ist ein öffentliches Tagebuch. Das sagt nicht viel. Es gibt ja sehr unterschiedliche Arten des Tagebuchschreibens. Ein Modell des Tagebuchs und seiner ambivalenten Rezeption wird zum Beispiel in dem Kinderbuch "Harriet - Spionage aller Art" (1968 ) von Louise Fitzhugh entworfen. Als Kind habe ich dies Buch sehr gerne gelesen. Es handelt von einem neugierigen und etwas außenseiterischem Mädchen, das mit Fernglas und Notizbuch bewaffnet seine Umgebung beobachtet und davon träumt, einmal eine berühmte Schriftstellerin zu werden. In ihr Tagebuch schreibt sie, was ihr auffällt, macht sich Gedanken über ihre Mitschüler und nimmt das Beobachtete zur Grundlage für Geschichten, die sie sich ausdenkt. Irgendwann gerät das Tagebuch in die Hände ihrer Feindin. Die Feindin liest der Klasse dann daraus vor. Verletzt von dem Bild, das Harriet von ihnen zeichnete, wenden sich die Freunde von ihr ab.
Nach allerlei Hin und Her nimmt die Geschichte noch ein gutes Ende und die Heldin wird Redakteurin bei einer Schülerzeitung; schreibt also in einem seriöseren Setting (in dem die Grenzen von Privat und Öffentlich eindeutig definiert sind) weiter.
Manche schreiben aber auch Tagebücher, nicht nur für sich, sondern auch um Freunden daraus vorzulesen, die ihrerseits in den Tagebüchern manchmal vorkommen. In solchen Tagebüchern wird aus dem oft gar nicht so komischen Alltag eine Geschichte, die sich erzählen und über die sich lachen lässt. Die Tagebücherei schärft den Blick auf den eigenen Alltag, birgt gleichzeitig aber auch die Gefahr, diesen Alltag auszubeuten, zu verdinglichen, zu verwerten.
Vor ein paar Jahren hatte ich in der Jungle World ziemlich ausgiebig Tagebuchmaterial eines deprimierenden Winters arrangiert. Ein Leser sagte mir später, er hätte sich beim Lesen sehr um mich gesorgt. Aber eigentlich war es umgekehrt; die Arbeit an diesen Tagebucharrangements war sehr befriedigend und half, diese Zeit sozusagen zu verarbeiten. Weil die Arbeit darin bestand, das allzu Individuelle oder Peinliche herauszufiltern und das stehen zu lassen, von dem man annimmt, dass es auch andere betrifft.
Die einen Tagebücher sind also geheim, die anderen sind für andere. Aber jedes Schreiben richtet sich an Andere, die - virtuellen oder tatsächlichen - Anderen sind immer dabei und ordnen den Text, der Mitteilung ist, der Versuch also, auch in der Selbstdarstellung, etwas Gemeinsames zur Sprache zu bringen. Es gibt unterschiedliche Stufen der Nähe in der - virtuellen oder tatsächlichen - Öffentlichkeit, an die sich die Texte wenden.
Diese unterschiedlichen Stufen der Intimität werden im Internet spürbar. Es geht nicht nur um die einzelne Aussage, sondern um unterschiedliche Stufen von Nähe (zu Gruppen, Orten, Einzelnen, Diskursen), die in manchen Blogs (dem von Rainald Goetz etwa) inszeniert werden. Das Soziale, von dem Rainald Goetz spricht, an dem er immer wieder zweifelt, wird gleichzeitig inszeniert. Die Intimität der Aussage hängt auch vom einzelnen Leser ab; davon, ob er den Bloggisten kennt, sich dem Blog nahe fühlt, auch ohne den Autor zu kennen, bei einer beschriebenen Szene anwesend war oder ganz woanders, in anderen Umständen wohnt, sich da aber irgendwie hineinversetzen kann.
Eigentlich ärgere ich mich fast nie beim Lesen von Blogs. Das hat mit dem Medium zu tun. Man klickt die Leute weg, die man nicht lesen mag. Der weggeklickte Text ist nun ganz allein in der Unendlichkeit des Internets und stört dort nicht mehr. Zeitungstexte, die man schlimm findet, ärgern einen dagegen immer noch, auch wenn die Zeitung auf dem Boden rumliegt.
Mein Blog
Als ich das Blog anfangs "tagesbriefe" nannte, dachte ich an eine Tagebuchform, die sich im Titel dazu bekennt, dass sie sich an andere richtet. Irgendwie war das aber zu kompliziert. Und: In Kombination mit dem Titel des "Blogwart" genannten Blog-Beauftragten der taz, Mathias Bröckers, klang mir "tagesbriefe" zu militärisch.
Deshalb benannte ich den Blog nach ein paar Tagen wieder um. "November" schwirrte in meinem Kopf herum, da es auch gerade November war. November ohne Zusatz klang aber ein bisschen zu traurig. "November 07" war besser. Außerdem schaut man in die Zukunft, wenn man im November 2006 einen Blog November 07 nennt, stellt Zeit vor sich hin, gibt ein Ziel vor: Auf jeden Fall wird man bis November 07 schreiben. Mal sehen, wie die Welt dann aussieht. Und wenn man dann noch mag, kann man ja auch bis November 08 schreiben.
Konzeptuell hatte ich mir keine Gedanken gemacht. Ich hatte kein spezielles Thema. Ich wollte für nichts werben. Die Form war gänzlich unbestimmt. Es gab die Verlockung, sich dem Blog ohne Rücksicht auf Verluste vollständig zu widmen. Das ging aber nicht, weil es fürs Bloggen bei der taz nur 50 Euro im Monat gibt.
Behinderte Fahrräder
Also überlegte ich mir etwas anderes, kaufte eine Digitalkamera und begann eine Art Fototagebuch zu veröffentlichen. Meist fotografierte ich die Gegend, Wege von da und da, Aussichten aus befreundeten Wohnungen, alltägliche Sachen, vieles aus der Nachbarschaft; ein neues Straßenschild in der Umgebung, kleine Graffitis, Zettel, die auf dem Boden rumlagen. Wo ich mir früher den Text der kleinen Texte und Zeichen, die einem beim Spazierengehen begegnen, aufgeschrieben hatte, machte ich nun Fotos und schrieb knappe Sätze darunter, was sich umgekehrt auch wieder auf meine Artikel auswirkte, in denen Graffitis kaum noch vorkamen. Zwischen den Bildern entwickelten sich lose Zusammenhänge. Manchmal entstanden auch unterschiedliche Serien - Graffitis, behinderte Fahrräder bei Nacht und dergleichen.
Fotos mit Menschen stellte ich nur selten in den Blog. Es ging darum, die Mitte freizulassen. Die fehlenden Menschen waren die Leerstelle, von der ich meinte, dass sich die Leser da reinstellen könnten. So ungefähr. Manchmal fotografierte ich auch bei Veranstaltungen oder veröffentlichte zu einem Zeitungstext eine Blogvariation, manchmal gab es auch kleine Texte. Wichtig war, dass die Fotos aktuell waren, also möglichst nicht älter als einen Tag.
Ich verwende auch deshalb Fotos, damit die Leser nicht zu viel Zeit brauchen, sich das anzugucken. Es gibt ja so viele, gute Blogs mit langen Texten, es kostet wahnsinnig viel Zeit, sich das alles durchzulesen, und da dachte ich, es könnte erholsam sein, nach vielen Texten ein paar Bilder zu gucken. Manche fanden das komisch; andere fanden es gut, und jemand sagte, sich die Bilder anzugucken, wäre so ähnlich wie Ambientmusik hören. Diese Beschreibung fand ich sehr gut.
Die neue Tagesstruktur
Das Blogschreiben strukturierte einen Teil der Tage und entwickelte sich; d. h. man selber entwickelte - wie bei einem neuen Instrument - mit der Zeit ein Gefühl dafür, was in den Blog zu tun war, und gewöhnte sich bestimmte Routinen an. Zum Beispiel fast alle Blogs direkt ins Internet zu schreiben, die einzelnen Beiträge nur selten zu korrigieren und nichts ins Netz zu stellen, wenn man gerade betrunken oder psychisch zu angeschlagen war. Manchmal stellte ich mir vor, dass es schön wäre, wenn die einzelnen Beiträge mit der Zeit verblassen würden.
Formal ist das Blog-Schreiben intimer und direkter als Zeitung: es fehlen die objektivierenden Instanzen: der Redakteur, das Geld, die Materialität der Zeitungsseite, auf der der Text, den man geschrieben hat, mit den anderen Texten korrespondiert, die auch auf der Seite stehen. Diese vermittelnden Instanzen führen dazu, dass etwa ein tagebuchartiger Text in der Zeitung weniger oder auf eine andere Art intim wirkt als im Blog.
Das Blog ist also schutzloser. Bekifft kam mir das Blog einmal so vor wie das Raumschiff in einem Egoshooter, das von allen Seiten beschossen wird und mit Navigationsschwierigkeiten viel zu schnell durchs All treibt.
Diese Schutzlosigkeit oder Vereinzelung ist ein Teil der Attraktivität mancher Blogs und führt vielleicht auch dazu, dass unterschiedliche Blogs (ich beziehe mich vor allem auf Kunst- und Schriftstellerblogs, aber es gilt glaube ich auch für andere nicht zielgerichtete Blogs) mehr oder weniger direkt miteinander kommunizieren. Dass seltsam immaterielle Freundschaften zwischen einzelnen Blogs entstehen; dass man Sachen, die man gut findet, im Blog verlinkt oder ab und an aufeinander verweist. Vor einigen Wochen hatte ich zum Beispiel eine Mietlimousine mit enthusiasmierten Mädchen, die grad Abitur gemacht hatten, am Checkpoint Charlie fotografiert. Völlig aufgekratzt riefen die Mädchen was aus dem geöffneten Fenster; ich war eher genervt. Rainald Goetz hatte meinen Blog-Eintrag gelesen und die gleiche Szene einen Tag später, ein paar hundert Meter weiter gesehen und ganz anders gestimmt beschrieben. "Diese Art von zufälliger und abseitiger Verknüpftheit in die Gegenwart anderer einzelner Individuen" (Goetz), der man im Internet ab und an begegnet, ist jedenfalls super.
Manchmal gibt es auch indirektere Korrespondenzen mit anderen Blogs, die man gerade liest; man hat das Gefühl, genau dieser ernste, ganz direkte Eintrag über den Tod würde genau auf das antworten oder das auf eine andere, freundschaftlich hilfreiche Art variieren, was man selber gerade gedacht, gefühlt oder geschrieben hatte. Eine Kommunikation, bei der die, die kommunizieren, unsichtbar und unbestimmt sind, unklar auch, wie viele. Manchmal ergibt sich zwischen Blogs eine Vielstimmigkeit oder es klingt wie eine imaginäre Band, die sich zufällig findet oder die man sich - als Leser und Schreiber - manchmal so zusammenstellt.
Dass das Bloggen kaum bezahlt wird, fand ich nach einer Weile eigentlich auch angenehm, weil es diese seltsame Kommunikations- und Veröffentlichungsform egalitärer macht; man spricht nicht von einer erhöhten Bühne aus, sondern steht sozusagen auf gleicher Höhe mit den Lesern. Man "postet" zwar regelmäßig, aber auch nebenbei.
Die Klickzahlen
Die Beziehung zu den Lesern ist seltsam diffus. Man stellt sich vor, dass die meisten nett sind. Kommentare sind eher selten. Vielleicht drei oder vier im Monat. Meist sind es kurze Kommentare. Zum Beispiel: "viel Text, aber schön". Manchmal sind es auch kleine Gedichte. Mein Lieblingskommentar kam von einem Leser namens "sick Rick". Er schrieb nur: "I like this a lot to watch this blog. - Thank you!", und ich freute mich sehr. Am meisten Kommentare (5) bekam ich zu einem zwei Jahre alten Artikel über Marc Bolan, den ich an dessen Todestag noch mal ins Netz gestellt hatte.
Irgendwann entdeckte ich die Funktion, die die Leute zählt, die sich den Blog angucken. Ein zwiespältiges Instrument. Wenn zustimmendes Klickgemurmel ertönt (an guten Tagen gibt es dreitausend Klicks), fühlt man sich bestärkt; andererseits führt es einen auch in Versuchung, sich zu oft anzugucken, wie viel Leute den Blog lesen, und sich Gedanken über die eigene Sendequote zu machen. Und manchmal, an Tagen, an denen man grade sehr dünnhäutig ist, hat man fast Angst, die Leute, die sich die Mühe gemacht haben, einen zu bookmarken, zu enttäuschen. Aber das geschieht ja auch im normalen Artikelschreibleben.
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