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Kuhhandel à la Jelzin

■ Rußlands Präsident bietet Jawlinski Amt des Vizeregierungschefs an

Moskau (AP) – Der russische Präsident Boris Jelzin hat am Wochenende erneut versucht, seinen liberalen Konkurrenten um das höchste Staatsamt, den Chef der liberalen Jabloko-Partei, Grigori Jawlinski, auf seine Seite zu ziehen. Bei Wahlkampfauftritten in Sibirien bot er dem Wirtschaftsexperten das Amt des stellvertretenden Ministerpräsidenten an, der die marktwirtschaftlichen Reformen vorantreiben solle. „Aber sein Stolz hält ihn davon ab, das Angebot anzunehmen“, sagte Jelzin am Samstag in Krasnojarsk. Jawlinski dementierte noch am Abend jede Absicht, in eine von Jelzin geführten Regierung einzutreten. Zuvor hatte er eine umfassende Umbildung der Regierung gefordert, unter anderem auch die Ablösung von Ministerpräsident Viktor Tschernomyrdin. Dies hatte Jelzin jedoch abgelehnt.

Dessen ungeachtet nimmt der Druck auf den in Umfragen an dritter Stelle liegenden Jawlinski zu, sich für Jelzin oder seine eigene Kandidatur am 16. Juni zu entscheiden. Der im Januar aus der Regierung ausgeschiedene Wirtschaftsreformer Anatoli Tschubais sagte laut Nachrichtenagentur Interfax, Jawlinski erlebe seine „Stunde der Wahrheit“: Entweder er bleibe im Präsidentschaftsrennen und verliere, oder er stelle seine Ambitionen hintan und erkenne, daß er darüber entscheide, ob der Kommunist Gennadi Sjuganow Präsident werden könne.

Auch Sjuganow erklärte, er wäre nicht überrascht, wenn es zum Bündnis zwischen Jelzin und Jawlinski kommen sollte. „Politisch wäre es das Ende Jawlinskis“, sagte Sjuganow.

Am Samstag hatte Jelzin seine Bereitschaft zur Koalition mit allen Parteien einschließlich der Kommunisten erklärt. „Ich bin bereit, eine Koalitionsregierung mit den Vertretern aller Parteien und öffentlichen Bewegungen zu bilden“, sagte er in Krasnojarsk. Nach Einschätzung von Beobachtern handelte es sich um einen Versuch des Präsidenten, Kritik an seinem hart geführten Wahlkampf zu entkräften und das Wählerpotential der Reformer anzusprechen.

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