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Kürzungen im KulturbereichVerlorene Mittel, verlorenes Vertrauen

Das Netzwerk Berlin Mondiale organisiert Kulturangebote für Jugendliche in benachteiligten Kiezen. Nun wurden ihnen die Fördergelder gestrichen.

Mondiale-Projekt in Marzahn: hier beim Lichterspaziergang im November 2024 Foto: Zakaria Gaga

Berlin taz | Dass die Verwaltung ihnen Mittel streicht und so ihre Arbeit kaputt macht, das kennen sie schon bei Berlin Mondiale. Drei Jahre lang hatte das Netzwerk Nachbarschaftsarbeit auf dem Campus am Dammweg in Neukölln organisiert – einer Brachfläche, die an die Weiße Siedlung mit zahlreichen, teils 15-stöckigen Hochhäusern grenzt. Bis das Bezirksamt Neukölln wie aus dem Nichts entschied, dort ein neues Projekt einzusetzen. „Wir haben Kunst und Kultur in einen davon ausgeschlossenen Kiez gebracht“, erzählt Projektleiterin Sabine Kroner. Das Netzwerk verschob seinen Fokus und bekam Fördermittel zugesichert. Doch nun streicht der Senat ihnen diese Mittel komplett. Damit droht der Initiative das Aus.

Seit Januar 2024 unterstützte Mondiale die Umsetzung der Jugendkulturinitiative, die es zum Ziel hat, Kunst- und Kulturinstitutionen für Jugendliche in sozial benachteiligten Orten der Stadt zugänglich zu machen. Sie fördert dafür aufsuchende Angebote kultureller Bildung für Jugendliche in Kooperation mit Kulturinstitutionen, etwa dem Heimathafen Neukölln, den Berliner Philharmonikern, der Schaubühne, dem Literaturhaus oder der Volksbühne. Für das Förderprogramm waren für den Doppelhaushalt 2024/25 Mittel vorgesehen – allein 2024 gab es 1 Million Euro. Das Pilotprojekt sollte 2026 zu einem landesweiten Programm ausgebaut werden.

„Bis Mitte November dachte ich, es würde unser bestes Jahr werden“, sagt Kroner. Durch Kooperationen in den Quartieren habe es ausreichend Fördermittel gegeben, eine gute Zusammenarbeit mit der Senatsverwaltung sowie ein breites Netz von 10 Partnerschaften mit dauerhaft geförderten Kulturinstitutionen berlinweit. Doch am 19. November verkündete der schwarz-rote Senat überraschend: Mondiale soll 100 Prozent der Mittel für die Jugendkulturinitiative gekürzt werden. „Kürzungen zwischen 10 und 15 Prozent hatten wir schon befürchtet und in unseren Budgetplan für 2025 einkalkuliert“, sagt Kroner. „Aber mit einer Abwicklung hat keiner gerechnet.“

Das weckt ungute Erinnerungen: Noch im November 2023 hatte Neuköllns Bezirksverordnetenversammlung (BVV) entschieden, Mondiale dürfe den Nachbarschafts-Campus am Dammweg 2024 weiter nutzen. Einen Monat später kam die Kehrtwende: sie mussten die Schlüssel abgeben. Stattdessen rief der Bezirk das senatsgeförderte Projekt „Zukunftskiez“ ins Leben. Warum, ist unklar.

Politische Beweggründe der SPD

Po­li­ti­ke­r*in­nen der Linken und Grünen-Fraktion kritisierten die Verdrängung einer erfolgreichen Initiative. Gemeinsam mit den Jugendlichen aus der Nachbarschaft hatten sie dort gegärtnert, luden zu Kunst- und Kochabenden. BVV-Mitglieder warfen der Bezirksstadträtin Karin Korte (SPD) vor, sich über demokratische Entscheidungen hinwegzusetzen. Ein Schreiben des Kulturamts an das Rechtsamt vom Oktober 2022 legt nahe, dass das Taktieren der SPD politische Beweggründe gehabt haben könnte. Darin wird Berlin Mondiale vorgeworfen, politischen Lobbyismus zu betreiben – ein Vorwurf, den das Netzwerk abstreitet.

„Trotz des Schmerzes, dass der Dammweg nicht mehr da war, haben wir uns berlinweit weiter engagiert“, erzählt Sabine Kroner. Mit ihren dezentralen Kulturangeboten in Neukölln, Spandau, Marzahn und Pankow-Heinersdorf erreichte das Netzwerk 13.000 Jugendliche aus den Kiezen und auch Be­woh­ne­r*in­nen von Geflüchtetenunterkünften.

Die letzten Wochen seien für Betroffene „unfassbar beängstigend“ gewesen, sagt Kroner. Viele Künst­le­r*in­nen würden mit dem Ende von Mondiale eine existenzsichernde Stütze verlieren, sei es durch Beratung oder Arbeitsmöglichkeiten. Einigen der 9 Teammitgliedern droht der Verlust ihres Aufenthaltsrechts, da ihre Arbeit an ihr Visum gekoppelt ist. Die Jugendlichen seien erschüttert.

Das bestätigt auch Vanessa Unzalu Troya. Sie entwickelt im Rahmen der Jugendkulturinitiative mit Jugendlichen aus Neukölln einen Community-Fernsehsender in Kooperation mit der Volksbühne. „Den Jugendlichen und uns wurde der Boden unter den Füßen weggezogen“, sagt sie. „Als die Gruppe gerade zusammengewachsen war und wir hätten loslegen können, wurde das Projekt auf Eis gelegt.“

Fördermittel kurz nach Beginn gestrichen

Ziel des Programms war es, Jugendlichen zu ermöglichen durch eigene Produktionen ihre Geschichten zu erzählen und diese bei regelmäßigen Screenings in der Kantine und Videothek der Volksbühne sowie im Sp*ti, einem Nachbarschaftsraum in Neukölln, zu präsentieren. Anfang November, nur einen Monat nach der ersten Sendung, wurden ihnen die Fördermittel gestrichen. „Das ist nicht nachhaltig gedacht“, kritisiert Unzalu Troya. Durch diese Entscheidung sei viel Arbeit und Geld aus dem Fenster geschmissen worden.

Dadurch werde zudem gerade aufgebautes Vertrauen zerstört, kritisiert sie. „Es ist schwierig Jugendliche zu erreichen und neue Räume zu erschließen. Bei den Jugendlichen herrscht viel Skepsis und die wird verschärft, wenn Bezugspersonen plötzlich wegfallen. Dieses Vertrauen und diese Beziehungen wieder aufzubauen wird schwierig werden.“

Auch Sabine Kroner betont die Bedeutung langfristiger Beziehungsarbeit. Die fehlende finanzielle Absicherung vieler Projekte erschwere diese häufig. Die Jugendkulturinitiative habe hier eine seltene Chance geboten: Kulturinstitutionen hatten für 2 Jahre Mittel zugesagt bekommen.

„Es fühlt sich an, als würde man in zwei Welten leben“, sagt Kroner. „Das Feedback von der Straße, von Jugendlichen, Akteuren aus der Szene und den Bezirken ist ausnahmslos positiv und wertschätzend. Und dann kommt die Koalition und wischt es einfach so weg.“ Sie kritisiert, dass den Jugendlichen keine Ersatzprojekte angeboten werden. Mondiale hat nun eine Crowdfunding-Kampagne gestartet, um die Zukunft des Netzwerks zu sichern. Auch die 50.000 Euro, die der Senat ihnen für die Betriebsschließung zugesichert hat, sollen für Fundraising und Fördermittelakquise genutzt werden. „Es gibt ein Recht auf kulturelle Teilhabe und Partizipation“, sagt Kroner.

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