Kür des SPD-Spitzenkandidaten: Der Mann aus der zweiten Reihe

Der Kieler Oberbürgermeister Torsten Albig wird zum Spitzenkandidat der Nord-SPD gewählt. Nun will er Ministerpräsident Schleswig-Holsteins werden.

Die Mitglieder der SPD wollen Torsten Albig (r.) zum Spitzenkandidaten haben - und nicht Ralf Stegner. Bild: dpa

KIEL taz | "Nein", sagt Torsten Albig schlicht auf die Frage, ob er überrascht sei. Und dann lächelt er das Lächeln, das er vor wenigen Minuten auf dem Podium unterdrückt hatte, als das Ergebnis der Wahl des SPD-Spitzenkandidaten verkündet wurde: 57 Prozent der SPD-Mitglieder in Schleswig-Holstein wollen mit Albig, dem Kieler Oberbürgermeister, in die nächste Landtagswahl ziehen. Offenbar trauen sie dem 47-Jährigen zu, die Partei aus dem Tal zu führen, in das sie zuletzt gerutscht war. Und Albig traut sich zu, den Job zu machen.

Dass er den Mitgliederentscheid für sich entscheiden könne, habe er stets geglaubt, erklärte er am Sonnabend: "Ich weiß, wie die Partei tickt." Und fügt hinzu, dass andere "Teile der Partei sich zu sehr auf den Kern konzentrieren" - ein Hieb gegen seinen Konkurrenten Ralf Stegner, den Partei- und Fraktionschef, der gehofft hatte, durch den Mitgliederentscheid den Angreifer Albig abschütteln zu können. Der Versuch schlug fehl: Dass Albig aus der zweiten Reihe - aus der kommunalen Ebene - startete, lässt seinen Sieg umso heller strahlen, während Stegner, der 32 Prozent der Stimmen erhielt, fürchten muss, als Landesvorsitzender abgewählt zu werden.

Während die SPD unter Stegner in den vergangenen Jahren mehrfach bei Wahlen scheiterte und auch die eigene Karriere des Spitzenmannes anders verlief als geplant - er verlor während der großen Koalition sein Ministeramt, die innerparteiliche Kritik an ihm wuchs -, zeigte Albig der Nord-SPD, dass Gewinnen möglich ist: Im Sommer 2009 holte der Jurist und Steuerfachmann im ersten Anlauf den Posten des Kieler Oberbürgermeisters gegen die Favoritin und Amtsinhaberin Angelika Volquartz (CDU).

Damit kehrte Albig, der zuvor Sprecher des Bundesfinanzministers Peer Steinbrück gewesen war, ins Kieler Rathaus zurück, in dem er zwischen 2002 und 2006 als Kämmerer gearbeitet hatte. Damals hatte der gebürtige Bremer, der in Schleswig-Holstein aufgewachsen ist, bereits einen beachtlichen Weg hinter sich. Nach seinem Studium der Rechtswissenschaften arbeitete Albig in der Steuerverwaltung des Landes und wurde dann in die SPD-Zentrale berufen, wo er an der rot-grünen Steuerreform mitarbeitete. 1998, mit 35 Jahren, wurde Albig zum ersten Mal Sprecher des Bundesfinanzministeriums, damals unter Oskar Lafontaine. Als der hinwarf und sich ins Saarland zurückzog, übernahm Hans Eichel das Amt. Albig, der sich stets nicht nur als Sprachrohr, sondern als eigenständiger Politiker verstanden hat, verließ 2001 das Ministerium und wurde Konzernsprecher der Dresdner Bank in Frankfurt. Nach einem Jahr zog es ihn an die Kieler Förde zurück, wo er heute mit Frau und zwei Kindern lebt. Bekannt ist seine Leidenschaft für den Fußball-Zweitligisten Arminia Bielefeld und die Handballer vom THW Kiel.

Dass Albig zwischen politischer und Verwaltungsebene hin- und hergewechselt hat, ist kein Zufall: Er betont in Gesprächen, wie wichtig ihm die "Realpolitik" und das "echte Leben" sind im Vergleich zur virtuellen Politik. Als er sich um den Kieler Oberbürgermeisterposten bewarb, sagte er, diese Verschiebung ins Virtuelle beginne bereits auf der Landesebene. Frisch im Amt, forderte er in einem Interview die Abschaffung der Bundesländer, sie seien überflüssig. Die Bundespolitik nennt er "Raumschiff Berlin".

Dabei beherrscht der Mann mit der Glatze die taktischen Spiele an Bord dieses Raumschiffs, allerdings bisher wieder nur aus der zweiten Reihe: Er sei ein "Feinmechaniker der Macht", schrieb die Nachrichtenagentur AFP, ein "Schattenmann", so das Abendblatt. Nüchtern sei er, pragmatisch, ein Kommunikator, ein Mann der Mitte und des Ausgleichs. Er selbst spricht von einem "Stil des Zuhörens". Trotz der "Arroganz, die Politikern zueigen ist", müsse das Ziel sein, Neues anzunehmen: "Ich will jeden Tag etwas klüger werden", sagte er am Sonnabend. "Und das darf auch in einem Gespräch mit der CDU oder der FDP passieren."

Eben weil Albig bereit und in der Lage ist, mit dem anderen politischen Lager zu sprechen, ist er für Schwarz-Gelb ein gefährlicherer Gegner als Ralf Stegner, der seit längerer Zeit ständig im Angriffsmodus agiert und damit zunehmend polarisiert. FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki hatte verkündet, er sei für einen Spitzenkandidaten Stegner - dazu sagte der Gescheiterte am Sonnabend knapp, die SPD tue eben nicht, was Kubicki wolle, Albig nannte es "witzig".

Lässig präsentiert sich der Bürgermeister, der Ministerpräsident werden möchte, und er lässt sich auf Flügeldebatten nicht ein: "Wo man genau auf einer Skala steht, sind Fragen der Vergangenheit", sagte er. "Da, wo die SPD steht, ist Mitte." Und er fügte hinzu: "Ich bin es leid, immer die Frage zu beantworten, ob ich in der richtigen Partei bin. Ich bin es."

Wofür er inhaltlich steht, ist nicht bis zum Letzten klar. Dass Bildung Vorrang haben muss, hatten in den Vorstellungsrunden alle vier Kandidaten betont. Während Stegner aber beitragsfreie Kita-Plätze verspricht, sagt Albig, sie seien zwar wünschenswert, aber zurzeit nicht bezahlbar. Hinter diesem Detail-Konflikt steht die Frage, wie wichtig die SPD die Haushaltskonsolidierung nimmt, zu der sie sich bekannt hat, als die Landtagsfraktion die Schuldenbremse mitbeschlossen hat. Albig sagte, Haushalte dürfen "nicht nur durchgekürzt werden, sondern wir müssen auch Wachstumswege aufzeigen" - ein Satz, den jeder unterschreiben könnte. Zur Fehmarnbelt-Querung hatten sich Stegner und Albig zuletzt ähnlich vage geäußert: Grundsätzlich gelte, auch Projekte, die bereits politische Prozesse durchlaufen hätten, müssten hinterfragt werden dürfen.

"Mir ist bewusst, dass viele Menschen kein abgeschlossenes Bild von mir haben", sagte Albig. Aber bis zur Wahl bleibt schließlich noch Zeit. Bis dahin werde er sein Amt als Bürgermeister ausfüllen, nur in der letzten Wahlkampfphase Urlaub nehmen: "Härter als in den vergangenen Wochen der Kandidatenkür kann es nicht werden."

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