Künstliche Intelligenz im Artenschutz: Wenn Algorithmen Elefanten beobachten
Bisher mussten ArtenschützerInnen Tierbestände mühsam zählen. KI erkennt Muster und kann gar helfen, Konflikten zwischen Mensch und Tier vorzubeugen.

Murmeltiere sind als Art gerade nicht direkt bedroht. Aber dem seltenen Nager wird es in der Klimakrise zu warm. Unklar, wie sich das auf den Bestand auswirkt.
Wie viele Tiere einer Art noch wo leben, ist im Artenschutz die entscheidende Frage. Bisher schätzen ForscherInnen meist, wie viele Exemplare sich in einem bestimmten Gebiet aufhalten. Dafür beobachten sie diese unter anderem mit Wildtierkameras.
Anschließend müssen zehntausende Fotos daraufhin gescannt werden, ob beispielsweise ein Murmeltier darauf zu sehen ist. Dann schätzen die WissenschaftlerInnen, wie groß die Population sein könnte. Die Ergebnisse sind sehr ungenau.
Martin Jansen leitet die Audiovisuelle Biodiversitätsforschung der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung. Er sagt: „Die Bildauswertung ist das Nadelöhr.“ Die Kameras brauchten wenig Strom und hätten große Speicher. Beste Bedingungen, um „unglaublich viele Daten zu sammeln“. Bislang mangelte es aber an Personal, all die Informationen auszuwerten.
Künstliche Intelligenz (KI) bahnt hier nun eine Revolution an. Was bei Menschen Tage und Wochen beanspruche, so Jansen, könne der Algorithmus mit Mustererkennung in Stunden bewältigen. KI wird inzwischen auf dem Rücken von Fledermäusen und zum Schutz vor dem Wolf eingesetzt.
Projekt von WWF und IBM
In Zentralafrika zählt der Naturschutzverband WWF in einer Partnerschaft mit dem Technologiekonzern IBM beispielsweise Elefanten im Regenwald. Mit Hilfe der KI könne man auf Kamerabildern Individuen und somit „ganz genaue Bestandszahlen der Waldelefanten“ bestimmen, sagt Thomas Breuer, Zentralafrika-Referent des WWF und Koordinator des Projekts.
Der Afrikanische Waldelefant hat auf der Roten Liste der bedrohten Arten die höchste Gefährdungsstufe inne – „vom Aussterben bedroht“. Die neue Zählmethode werde „ein Game Changer sein“, sagt Breuer. Sobald einsatzfähig, solle das Modell frei genutzt werden können.
Die KI könne dann auch Daten über das Verhalten einzelner Tiere liefern, so Breuer, etwa Wanderbewegungen, in welchen Waldgebieten sich die Elefanten aufhalten – oder ob dann ein spezielles Tier Felder verwüstet.
„Dass man das Monitoring auf das Individuum überträgt, ist etwas völlig Neues“, sagt der WWF-Experte. Konflikten zwischen Mensch und Tier könne so besser vorgebeugt oder ihnen gezielter begegnet werden.
Weitere Daten über die statischen Kameraaufnahmen hinaus liefern Sender, mit denen WissenschaftlerInnen schon lange arbeiten. Wildkatzen schnallen sie Halsbänder um. Walen pfropfen sie die Geräte mit Saugnäpfen an. Sogar Insekten klebt man inzwischen Sender auf, die den Bruchteil eines Gramms wiegen.
Unter anderem Satelliten empfangen die Signale, und dann ist es wie bei den Kamerafallen: An Daten mangelt es nicht – nur an denjenigen, die sie interpretieren.
Smarte Sender
Das konnten bisher nur die ForscherInnen selbst. Jetzt kann das KI viel schneller. Die Reisen der Zugvögel verfolgt sie genauso wie die nächtliche Wanderschaft besenderter Fledermäuse.
Inzwischen ist die KI sogar auf den Sendern selbst integriert. Auf diese Weise empfangen die ForscherInnen bereits ausgewertete Daten. Und weil vorsortierte Datenpakete weniger sperrig sind, reichen Funksignale, um sie an Satelliten zu übermitteln.
Konkret heißt das, dass WissenschaftlerInnen live verfolgen, wenn sich etwa Zugvögel oder Gnus auf ihrer Wanderschaft auffällig verhalten. Timm Wild ist Projektleiter in der Abteilung Tierwanderung am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie. Mit diesen intelligenten Sendern sage er die Bewegungen der Tiere vorher, erklärt Wild.
„Jetzt können wir zum Beispiel durchgeben: Schaltet das Windrad an diesem Tag mal zu dieser Tageszeit für drei Stunden aus, weil dann besonders viele Fledermäuse in der Umgebung sind.“ Das bewahrt die Tiere vor Zusammenstößen mit den Rotoren. Auch Krankheitsausbrüche könnten so direkt bemerkt werden.
Dank KI Schafe statt Wölfe beobachten
Die KI liest das Verhalten der Tiere als Muster in den Daten. Mit diesem Wissen sind etwa BetreiberInnen von Energieanlagen oder LandwirtInnen in der Lage, Rücksicht auf Verhaltensweisen von Wildtieren zu nehmen.
Dabei sind die intelligenten Sender vielfältig einsetzbar. Sie können auch helfen, über eine Tierart eine andere zu beobachten. Ein Beispiel: Wölfe zu besendern ist aufwändig. Die Räuber sind schwer zu finden und noch schwerer zu fangen. Gleichzeitig wollen aber SchäferInnen wissen, ob und wann Wölfe in der Nähe ihrer Herden sind.
Max-Planck-Forscher Wild dreht deshalb den Spieß um: Statt die Wölfe besendere sein Team die Schafe. „Die KI erkennt in den Bewegungsmustern der Herde, wenn die Schafe nervös werden. Dann ist es wahrscheinlich, dass ein Wolf in der Nähe ist.“ So könne eine Live-Warnung gesendet werden. Auf ähnliche Weise sei es auch möglich, Nashörner vor Wilderei zu schützen und die Einsätze der RangerInnen zu koordinieren.
KI erleichtert Kommerzialisierung von Artenschutz
Ob bei der Auswertung von Wildtierbildern oder von Satelliten-Daten: Künstliche Intelligenz kann Fleißarbeit, sie erkennt Muster in den Daten schneller und besser als Menschen. Und können Wildtiere genau gezählt und geortet werden, erleichtert das nicht nur ihren Schutz, sondern auch ihre Kommerzialisierung.
IBM, das die KI im afrikanischen Regenwald mit dem WWF zusammen entwickelt, schreibt, das Modell ermögliche die „Erfassung und Bewertung von Naturkapital“.
Wie hilfreich diese In-Wert-Setzung für den Artenschutz ist, ist umstritten, weil dadurch die Rolle von Regierungen in der Bewahrung von Natur als öffentliches Gut ausgehöhlt wird. Außerdem lenke es davon ab, umweltschädliche Subventionen zu beenden und umweltschädliches Verhalten zu besteuern, schreibt die Naturschutzorganisation Friends Of The Earth.
IBM jedenfalls zitiert eine Studie des Internationalen Währungsfonds, wonach ein Waldelefant durch seine Lebensweise die Speicherfähigkeit des Regenwaldes um so viel CO2 erweitere, wie über 2.000 Autos in einem Jahr ausstoßen.
Kurz gesagt dünnen die Tiere den Wald aus, so dass große, viel Treibhausgas bindende Bäume bessere Chancen haben. In CO2-Zertifikaten ist ein Waldelefant damit 1,75 Millionen US-Dollar wert.
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