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Künftige Lieben (1)Schwarzmarkt der Liebe

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

In einer alternden Gesellschaft sind neue Bindungstechniken jenseits von Zweierpartnerschaft und Kleinfamilie gefragt - und sie sind möglich.

D as Meinungsforschungsinstitut Allensbach bediente sich mahnender Worte, um die düstere Zukunft unsrer bindungslosen Gesellschaft zu skizzieren: Ältere, allein lebende Kinderlose drohten zu einer "gesellschaftlichen Problemgruppe" zu werden, sagte Allensbach-Chefin Renate Köcher unlängst. Die Hälfte dieser Singles hatten laut einer Umfrage Angst, später einsam zu sein. Im Bevölkerungsdurchschnitt waren dies nur 24 Prozent.

Die Umfrage des Instituts passt zur jüngsten Angstmache, die sich im Zuge der Demografiedebatte in Feuilletons und Bestsellern ausbreitet: Wer nicht auf konventionelle Bindungsmuster wie Familie oder Partnerschaft zurückgreifen kann, ist spätestens im Alter arm dran. Er oder häufiger noch sie dümpelt dann emotional unterversorgt in der Einraumwohnung vor sich hin und wartet sehnsüchtig auf den Pflegedienst, der gnädig ein paar extra Gesprächsminuten spendet.

Horrorszenarien wie das der einsamen Alleinstehenden drücken auf die Stimmung und sind genauso nervtötend wie der trendige Bindungsdiskurs, nach dem angeblich ewige Gesetze der Biologie über unsere Chancen auf Liebe entscheiden. Frauen müssen sich nicht unbedingt in jungen Jahren an mächtige Männer mit Alphatiergehabe verkaufen, nur weil das auch dem Paarungsverhalten der Gorillas entspricht. Die neue Begeisterung für die Biologie hat allerdings Unterhaltungswert in einer Gesellschaft, die sich evolutionsbiologisch höchst unkorrekt verhält: Die Zahl der Kinder geht zurück. Auch der durchschnittliche Hormonspiegel der Bevölkerung sinkt, bedingt durch die Alterung.

Eine Beziehungsform wie die Zweierpartnerschaft, deren entscheidendes Merkmal die Sexualität ist, bietet daher allein zu wenig Bindungschancen für diese Gesellschaft. Die Lebensform der "seriellen Monogamie", nach der man einfach immer nur die PartnerInnen wechselt, steht vielen Leuten zudem gar nicht offen. So heiraten nach einer Scheidung nur die Hälfte der Männer und Frauen erneut. Aber auch die Elternschaft garantiert keine lebenslange, durch den Alltag tragende Verbindung mehr. Sozialforscher haben nachgewiesen, dass Kinder heute viel mehr Zeit als früher mit Gleichaltrigen verbringen. Die Pubertät beginnt heute im jüngeren Lebensalter. Mütter und Väter sind somit alsbald wieder auf sich gestellt.

Doch was schafft dann neue Bindungen und Zugehörigkeiten? Der Hamburger Sexualforscher Gunter Schmidt spricht von "Markern", die die Besonderheit und Verlässlichkeit von Beziehungen definieren. Marker, in deren Bewertung sich die Beteiligten einig sind, schaffen ein Gefühl von Sicherheit und Zugehörigkeit.

So ist der Sex, auch wenn Paare nur noch selten miteinander schlafen, ein Marker für die Zweierpartnerschaft. Auch die genetische Verwandtschaft markiert eine Verbindung - mit dem Vorteil, dass dieses Merkmal unauflösbar ist. Vielleicht bleibt deswegen die Familie im weiteren Sinne als symbolisches Bezugssystem auch für Alleinstehende so wichtig. Nicht, weil die Familie als Solidargemeinschaft etwas "Urzeitliches" ist, wie Frank Schirrmacher meint. Sondern weil sie auf der symbolischen Ebene ein unauflösliches Merkmal von Zugehörigkeit bietet, nicht nur zu Verwandten in gerader Linie, sondern auch zu Geschwistern, Onkeln, Nichten.

Wenn konventionelle Bindungsformen bröckeln, entsteht ein Bedürfnis nach neuen Markern, die Verbindlichkeit schaffen, auch ohne Sex oder Trauschein. Nicht nur der in Medien und Werbung verhandelte Partnerschaftsmarkt, sondern Austauschsysteme mit anderen Währungen, ein "Schwarzmarkt der Liebe" in Freundschaften, Nachbarschaften, Verwandtschaften sorgen für ein Gefühl von Einbettung und Gehaltenwerden. Dass sich die Menschen längst in diesen Austauschsystemen bewegen, zeigt eine Untersuchung des Gesundheitspsychologen Ralf Schwarzer an der FU Berlin. Schwarzer interessierte sich für das Ausmaß an emotionaler Unterstützung, das Tumoroperierte nach dem Eingriff durch ihre Umwelt erfahren. Bei Menschen im Alter von unter 59 Jahren bekamen PatientInnen ohne festen Partner erheblich weniger Unterstützung als Verheiratete. Bei den Befragten im Alter von über 66 Jahren jedoch erlebten Frauen, die keinen Mann hatten, genauso viel Zuwendung und Hilfe wie verheiratete Patientinnen in diesem Alter. Frauen verfügten offenbar über "alternative Unterstützungsquellen, mit deren Hilfe sie ihre Lebenskrisen meistern können", schreibt Schwarzer.

Die gegenseitige Unterstützung im Krankheitsfall ist ein Marker von Zugehörigkeit, ebenso wie Hilfen in anderen Lebenskrisen und die lange Dauer einer Freundschaft. Es ist sicher kein Zufall, dass TV-Serien wie "Gute Zeiten - Schlechte Zeiten" sich in erheblichem Maße nicht mit Sex, sondern mit dem Bewältigen von Magersucht, Alkoholismus oder Scheidungsdepression beschäftigen. Und selbst in TV-Serien, die sich vordergründig mit dem Einfangen eines lukrativen männlichen Partners befassten, wie "Sex and the City", ging es hintergründig um die - stark idealisierten - Freundschaften zwischen den Frauen. Ein gutes Krisenmanagement schafft ein Gefühl von Zusammengehörigkeit. Beziehungen zwischen Nichtverwandten werden dadurch "familiarisiert".

Man muss dabei nicht unbedingt so kreativ sein wie die befreundeten Rentnerinnen in Bad Schwartau, die, obwohl hetero, sich als gleichgeschlechtliche "eingetragene Partnerschaft" beim Standesamt registrieren ließen, um sich gegenseitig im Todesfall die Hinterbliebenenrente zu sichern.

Eine "Familiarisierung" ohne Kleinfamilie praktizieren bereits Hunderttausende: Von den Alleinstehenden in Deutschland leben 1,5 Millionen Menschen nicht in einer Einzelwohnung, sondern mit FreundInnen, StudienkollegInnen oder Verwandten in nicht gerader Linie, etwa Geschwistern, zusammen. Sechs Prozent aller Haushalte in Deutschland sind Mehrpersonenhaushalte ohne elterliche oder großelterliche Beziehungen. Der Anteil dieser Haushalte hat zugenommen.

Nach einer vom britischen Glücksforscher Richard Layard zitierten Studie liegt der subjektiv erlebte "Glücksindex" beim zwanglosen Zusammensein mit FreundInnen sogar höher als bei der Interaktion mit dem Ehemann beziehungsweise der Ehefrau. Doch auch in Netzwerken von FreundInnen und NachbarInnen braucht es offene oder unausgesprochene Verbindlichkeiten, will man sich eingebettet fühlen. Hausgemeinschaften setzen dafür etwa wöchentliche Meetings oder gemeinsame Essen als Termine fest.

"Die Gruppenfähigkeit ist entscheidend", sagt ein Bewohner einer Hausgemeinschaft in Berlin. Gruppenfähig zu sein, das ist eigentlich eine soziale Ressource aus jüngeren Jahren. Vielleicht legt eine alternde Gesellschaft so am Ende sogar die Glücksressourcen der Teenagerzeit wieder frei. Das wäre dann doch eine schöne Ironie aller evolutionsbiologischen Theorien.

BARBARA DRIBBUSCH

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).

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