Kündigung von Baubehörden-Elektriker: Das sechste Gericht
Erneute Verhandlung um den Rausschmiss eines schwerbehinderten Elektrikers aus der Baubehörde. Linke Europa-Abgeordnete Wils weist Mitschuld von sich.
HAMBURG taz | Muharrem Aki* ist verbittert: Seit drei Jahren lebt der entlassene und schwerbehinderte ehemalige Elektriker der Baubehörde von Hartz IV und muss seine Familie irgendwie über die Runden bringen. Manchmal kommen böse Fragen in ihm auf: Vielleicht hätte ein NPD-Personalrats-Vorsitzender anders gehandelt als die heutige Europa-Parlamentsabgeordnete der Linkspartei, Sabine Wils, die seiner fristlosen Kündigung zugestimmt hatte? Heute verhandelt das nunmehr sechste Gericht über seinen Fall. „Es ist einer der ungewöhnlichsten Fälle, der je beim Landesarbeitsgericht verhandelt wurde“, sagt sein Anwalt Rolf Geffken.
Dass Aki kein einfacher Angestellter gewesen ist und auch auf seine Arbeitnehmerrechte gepocht hat, räumt er durchaus ein. „Ich habe mehrere Abmahnungen bekommen“, sagte Aki 2009 der taz. „Die Abmahnungen mussten aber alle wieder aus der Personalakte getilgt werden.“
Aki war 2008 fristlos gekündigt worden, nachdem es Streit um einen Arbeitsauftrag gegeben hatte, den Aki aus gesundheitlichen Gründen nicht ausführen wollte. Der Kündigung hatte der Personalrat der Baubehörde zugestimmt. „Ich darf mich nicht zu dem Fall äußern“, sagt die damalige Personalratsvorsitzende und heutige Europa-Parlamentarierin Sabine Wils der taz. Dazu habe sie sich nach dem Gang nach Brüssel der Behörden gegenüber schriftlich verpflichten müssen. Nur so viel: „Am dem Vorgang hat der gesamte Personalrat mitgewirkt und wir haben nach vielen Alternativen gesucht“, sagt Wils.
Dennoch ist Aki rausgeworfen worden. Im Zuge des Streits soll er einen Vorgesetzten beleidigt haben. Aki soll gesagt haben: „Ich bringe das Geschwür zum Platzen.“ Der Vorgesetzte wiederum sagte vor Gericht aus, er habe vor dem Wortgefecht Aki als „Arschloch“ bezeichnet.
Aki wurde gekündigt, ohne dass ihn der Personalrat zu den Beleidigungsvorwürfen angehört hatte. Deshalb erklärte Arbeitsrichterin Elke Mascow die Kündigung für rechtswidrig. Dennoch erklärte Mascow das Arbeitsverhältnis für beendet, weil das Vertrauensverhältnis „zerrüttet“ sei.
Mascow bezog sich dabei auf ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG). „Aber da ging es um ein Büro in einer Kirchengemeinde, in dem nur zehn Mitarbeiter beschäftigt waren“, sagt Anwalt Geffken. Bei der Baubehörde seien mehrere tausend Menschen beschäftigt.
Das Landesarbeitsgericht (LAG) setzte in der Berufungsverhandlung noch eins drauf, segnete die fristlose Kündigung von der Substanz her ab und ließ keine Revision vor dem BAG zu. Geffken konnte jedoch eine Revision beim BAG erzwingen, so dass das Verfahren an die Kammer von Landesarbeitsrichter Rainer Schaude zurückverwiesen worden ist.
Doch der ansonsten als progressiv geltende Richter Schaude stellte auf stur. Das BAG habe „offensichtlich übersehen“, dass Geffken Beweisanträge zur Anhörung der Personalverantwortlichen „ins Blaue hinein gestellt“ habe. „Das BAG rügte die Grundrechtsverletzung und verwies den Rechtsstreit jetzt an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts, so dass der Vorsitzende Richter Schaude mit der Angelegenheit nicht mehr befasst sein wird“, sagt Geffken.
In der Tat ist der Vorgang im Arbeitsrecht, den Fall explizit an eine andere Kammer zu überweisen, außergewöhnlich. In der Gerichtskantine wird das Prozedere denn auch schon gern als eine „Höchststrafe“ bezeichnet.
* Name geändert
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