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Kühler Abschluß für öffentlichen Dienst

■ Einstimmiger Schlichterspruch: 1,3 Prozent mehr, keine Kürzung bei Krankheit, ein Prozent Anpassung Ost

Berlin/Baden-Baden (AP/taz) – Den großen Streik im öffentlichen Dienst wird es nicht geben. Gewerkschaften und Arbeitgeber signalisierten ihre Zustimmung zu dem gestern vorgelegten Schlichterspruch, nach dem die 3,2 Millionen ArbeiterInnen und Angestellten im öffentlichen Dienst vom kommenden Jahr an 1,3 Prozent mehr Lohn und Gehalt sowie für 1996 eine Einmalzahlung von 300 Mark erhalten sollen. In Ostdeutschland sollen die Einkommen ab 1.9. 1997 um ein Prozent auf 85 Prozent des Westniveaus steigen.

Bundesinnenminister Manfred Kanther erklärte für die Arbeitgeber von Bund, Ländern und Gemeinden die Bereitschaft, einen Tarifvertrag auf der Basis des Schiedsspruches abzuschließen. Die Empfehlung sei ein „Zeichen der Vernunft“. Der Vorsitzende der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr, Herbert Mai, nannte den Schlichterspruch unter den politischen Bedingungen vertretbar. Die Gewerkschaften hätten erfolgreich Eingriffe in die Tarifautonomie abgewehrt. Problematisch sei die Regelung für Ostdeutschland.

Die Schlichter Carl-Ludwig Wagner und Hans Koschnick hatten den Kompromiß vorgelegt, der von der 20köpfigen Schlichtungskommission – die in höchst luxuriöser Umgebung im Schloßhotel Bühlerhöhe tagte – einstimmig angenommen wurde. Wagner sagte, die Empfehlung sei „das richtige Signal zur richtigen Zeit“. Die Zuwachsraten für die Beschäftigten seien bescheiden, doch sei nicht mehr möglich gewesen. Er bezifferte das Gesamtvolumen für die Dauer der Laufzeit auf rund ein Prozent.

Der am achten Verhandlungstag gefundene Kompromiß sieht ferner vor, daß es entgegen der Arbeitgeberforderung bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall keine Einschnitte geben soll. Auch längere Arbeitszeiten sind vom Tisch. Zwar soll einer der beiden seit 1987 gewährten zusätzlichen freien Tage gestrichen werden, dafür sollen aber zwei halbe Tage an Heiligabend und Silvester arbeitsfrei werden.

Die Ausbildungsvergütungen werden nach Empfehlung der Schlichter eingefroren, im Gegenzug verpflichten sich die Arbeitgeber, rund 1.200 Lehrstellen zu schaffen. Auch das Weihnachtsgeld bleibt unverändert. Zur Kompensation der steigenden Personalkosten sollen freie Tage wegfallen, die etwa für Kindstaufen oder Jubiläen gewährt werden. Der Vertrag läuft rückwirkend vom 1. Mai 1996 bis Ende 1997. Für das Tarifgebiet Ost sollen nach Abschluß der Lohnrunde Tarifverhandlungen über arbeitsplatzsichernde Maßnahmen aufgenommen werden. Öffnungsklauseln für Arbeitszeit und Einkommen sind auch für Bremen vorgesehen.

Das Kompromißpaket muß noch am 19.Juni in Stuttgart von den Tarifparteien abgesegnet werden. Koschnick sagte: „Wenn sie ablehnen, haben wir alle verloren.“ Kanther betonte, die Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sei noch nicht vom Tisch. Wenn die gesetzlichen Regelungen für die Beamten entsprechend geändert würden, bleibe eine Änderung auch für ArbeiterInnen und Angestellte vorbehalten. Kanther kündigte an, daß er nur die finanziellen Regelungen des Schlichterspruches auf Beamte übertragen wolle. Kommentar Seite 10

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