■ Krupp: Die „feindliche Übernahme“ war Mittel zum Zweck: Raffiniertes Spiel
Aggressiver Stahlboss will größeren Konkurrenten übernehmen und fällt auf die Nase. So sieht auf den ersten Blick die Geschichte von Krupp-Chef Gerhard Cromme aus. Im neuen, friedlich gegründeten Superkonzern spielt Krupp mit einer 40-Prozent-Beteiligung nur die Rolle des Juniorpartners. Also Krupp als Verlierer, Thyssen als Gewinner der Übernahmeschlacht? Nur auf den ersten Blick. Cromme ist ein raffinierter Manager. Auch die Deutsche Bank, die hinter dem Deal steht, hat dank zahlreicher Aufsichtsratsposten intime Einblicke in die Stahlbranche.
So fragt sich, ob Cromme und seine Bankberater die feindliche Übernahme je für sinnvoll hielten. Krupp, das wußte Cromme ebenso wie seine Bankiers, hätte sich hoch verschulden müssen, um die Thyssen-Aktionäre auszubezahlen. Die lukrativsten Teile von Thyssen zu verkaufen hätte zwar die kurzfristige Finanzierung ermöglicht, aber damit wären die attraktiven Gewinnbringer auch verloren gewesen. Und wer legt sich zudem noch unnötig mit der schlagkräftigsten deutschen Gewerkschaft an? Daß die IG Metall sich zu wehren weiß, hat sie in den letzten Tagen gezeigt. Auch die SPD-Landesregierung, die einer Stahlfusion ja keineswegs ablehnend gegenüberstand, hätte alles getan, um eine feindliche Übernahme mit unübersehbaren Entlassungen zu verhindern. Das ist sie ihrer Klientel schuldig.
Nein, Cromme hat geschickt die Verwirklichung seines Zieles eingeleitet: Durch die Fusion kann er den defizitären Krupp-Stahlbereich absichern, wenn auch in Verbindung mit brutalem Arbeitsplatzabbau. Cromme – Retter von Krupp-Stahl und Stratege der deutschen Stahlindustrie. Die Androhung einer feindlichen Übernahme war nichts anderes als ein Schuß vor den Thyssen-Bug, um die dortigen Manager an den Verhandlungstisch zu zwingen. Zugleich wurden die Gewerkschaften durch die Übernahmepläne so geschockt, daß sie jetzt, da das Schlimmste verhindert wurde, erst mal ruhiggestellt sind.
Daß Krupp nun nicht den Chef des neuen Stahlgiganten stellt, paßt ebenfalls in die Strategie: Cromme ist bei den Gewerkschaften so unbeliebt, daß jeder Arbeitsplatz, den er abgebaut hätte, Aufruhr erzeugt hätte. Und Thyssen-Manager Schulz, der Chef des neuen Konzerns, kann Cromme durchaus recht sein. In den letzten fünf Jahren hat er bei Thyssen-Stahl 11.000 der ehemals 26.000 Stellen praktisch reibungslos verschwinden lassen. Nicola Liebert
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