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■ Erneut BedenklichesKrummhölzer des Geistes

Das Leben birgt Überraschungen, wo man sie nicht mehr vermutet. Die Lektüre der samstäglichen FAZ hatte auf die Verfertigung dieser Zeitung, die heute, wie offensichtlich, in veränderter Verfassung sich präsentiert (und deren Produktion entsprechend arm an Humor gewesen), derart erheiternde Wirkung, daß ihr manifester Gewinst nicht unterschlagen werden darf. In deren Feuilleton zeiht nämlich Herr Siemons die deutschen Intellektuellen im Zusammenhang mit Rostock und den Folgen der Abdankung: Es „hat sich der kritischen Öffentlichkeit in Deutschland ... ein unheimliches Schweigen bemächtigt“, mehr noch: „Offenbar konnte die in den vergangenen fünfzehn Jahren bewährte Rhetorik der Bundesrepublik nur für verbale Gefahren Worte finden. Nun aber ist Blut geflossen.“ Zur Illustrierung der Frankfurter Wünsche findet sich ein Bild von Sartre mit der erhellenden Unterschrift: „Voltaire verhaftet man nicht, aber die deutschen Voltaires geben der Ordnungsmacht gar keine Gelegenheit zum Zugriff.“ Also, Freunde: auf in den Kampf, und zaudert nicht bei Ordnungswidrigkeiten! Die Tatsache, daß im Zentralorgan der deutschen Nachkriegsordnung die Politiker derselben Sprach- und Gestenlosigkeit nicht auffällig angeklagt und getadelt werden, überrascht kaum und fällt so nicht ins Gewicht, aber im Kontext des bisherigen Frakturfeuilletons, in dem jegliches politische Engagement sogenannter Intellektueller stets als dem Geiste eben derer verderblich gegeißelt und die sogenannte kritische Linke nach allen Regeln der üblen Nachredekunst in den deutschen Staub geschrieben wurde, nimmt sich dies doch eigentümlich aus: Sollen se nun, oder sollen se nich? Voltaire oder Vernichtung, Sartre oder „Schnauze!“, Reden oder Schweigen, Blech oder Blattgold? Mir ist nicht bekannt, was die FAZ derzeit pro Zeile Empörung zahlt, um die ihrerseits diagnostizierte „kostenlose Sensibilität“ pekuniär zu beheben, aber ich rufe den Kollegen in Frankfurt hiermit zu: Gemach, gemach! Haltet's fest, das Geld der Deutschen Bank! Eine entsprechende Serie ist hier, neben den ständig erscheinenden linken Erhebungen gegen den deutschen Rassismus, durchaus in Vorbereitung. Bei der rastlosen Identifizierungssucht der personellen Restbesatzung jenes ideologischen Hoch- und Ruhesitzes, an dessen Sprossen sich jung wie alt in Hamburg wie Frankfurt mit masochistischem Krankheitsgewinn immer wieder die wundgedachte Stirne blutig stößt, sind wir wie jederzeit gern behilflich. Wir winken mit Bettuch, Druckfahne und Uzi und schließen mit einem leicht redigierten Zitat des Philosophen Heidegger, welcher im Unterstand des deutschen Hochsinns die nationale Ambition mit soviel Krumm- und Scheiterhölzern des Geistes versorgt hat, daß den im kühlen Verfassungspatriotismus frierenden Frankfurter Kollegen heute noch daran warm werden kann: „Das Sichverständlichmachen ist der Selbstmord der Politik.“ So wollen wir es auch fürderhin halten. Elke Schmitter

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