Kronleuchter und Krawallgeschichten

■ Hamburg hat zwei neue Konzertsäle: den Schlachthof in der Schanze, der noch immer umstritten ist, und das mondän aufgeputzte Curio-Haus an der Rothenbaumchaussee. Nach den ersten großen Konzerten ein Blick auf Publikum und Erfolgschancen

Meilenstein der Yuppisierung des Schanzenviertels oder begrüßenswerte Kulturalternative – was bringt das Veranstaltungszentrum Schlachthof eigentlich? An mehreren Tagen pro Woche lädt der „Saal“, das Herz der schick sanierten und Ende Januar eröffneten Rinderschlachthalle, zu Kabarett, Parties und Konzerten. Hohe Decken, erhöhte Bühne und eine überschaubare Größe – das Raumgefühl erinnert an den Mojo Club. 500 Leute passen in den in warmen Rottönen gestrichenen Schlauch. Die Beleuchtungstechnik in Achtziger-Ästhetik ist ein bißchen zu auffällig plaziert, aber Sound und Technik überzeugen, und von der Galerie hat man einen entspannten Blick auf das Treiben.

Wer hier spielen darf, bestimmt das dreiköpfige „Schlachthof Office“, das als GmbH auch Bistro, Bar und Restaurant betreibt. „Wir machen eine möglichst breite Mischung, die alle ansprechen soll – nicht nur die Leute aus dem Viertel“, beschreibt Olaf Kruse die „Programm-Philosophie“.

So testete Radio Energy mit einer Party die neue Location, aber auch Underground-Booker Dirk Hugsam war gerade mit den US-Indie-Rockern Karate zu Gast. Die beiden unterschiedlichen Veranstalter, die ihr Klientel in den neuen Ort ziehen konnten, waren von der Atmosphäre begeistert. „Allerdings fiel unser Konzert sehr aus dem Rahmen des doch ziemlich seichten Unterhaltungsprogramms“, so Hugsam. Gern wäre er öfter in dem Raum, der schon mit 150 Leuten angenehm gefüllt wirkt – wenn die Konditionen, die Veranstaltungsmanager Gideon Schier für das Office aushandelt, nicht so ungünstig wären: Unabhängig von der Aufteilung der Einnahmen kostet der „Saal“bis zu 1000 Mark Miete; für unbekanntere Szene-Bands ist dadurch das Risiko zu hoch.

Daß das Mißtrauen einiger Viertelbewohner schon zu „Krawallgeschichten“geführt hat, gibt Rahman Nadjafi, der dritte Kopf des Office freimütig zu. Als ehemaliger Afghanistan-Aktivist fühlt er sich jedoch den Protestlern verbunden. Das Projekt sei ein „wahrgewordener Traum“, der sich nun gegen wirtschaftlichen Zwänge behaupten müsse. Mehr als 60.000 Mark Verlust haben die Betreiber im ersten Monat gemacht – in der Anlaufphase eine ganz normale Summe, wie sie sagen. Nadjafi ist dennoch besorgt: „Wenn man in dieser Gegend nicht selbst Sozialhilfeempfänger werden will, muß man verdammt aufpassen.“Sabine Claus

Ein bißchen beschleicht einen die Angst, der Fußboden könnte schmutzig werden. Im Curio-Haus ist immer alles piccobello und prächtig, da will man sich am Eingang unwillkürlich die Schuhe abtreten. Aber das Gemäuer an der Rothenbaumchaussee ist ja auch keine Rock-Klitsche, sondern wurde schon 1911 errichtet. Und zwar zu Ehren von Johann Carl Daniel Curio, der hundert Jahre zuvor die „Gesellschaft der Freunde des vaterländischen Schul- und Erziehungswesens“gegründet hatte. Dessen Profil prangt jetzt riesig über der Bühne des Hauptsaals, was der Räumlichkeit eine gewisse Strenge verleiht. Nicht ganz unpassend für einen Ort an der Schnittstelle zweier Bereiche, die altmodische Menschen „E“und „U“nennen.

„Das Curio-Haus ist eine echte Bereicherung“, sagt Frehn Havel von der Konzert-Agentur Jahnke. „Wenn früher die Musikhalle nicht frei war, konnte man lange suchen. Gerade wenn man wie wir nicht nur Rock-Konzerte organisiert, ist man auf etwas andere Veranstaltungsorte angewiesen. Und ins CCH 2, das eine ähnliche Kapazität besitzt, will niemand gehen.“

Natürlich, die hohen Decken und der gewaltige Kronleuchter im großen Saal verbreiten Feierlichkeit, was einem ambitionierten Unternehmen wie dem Tim Isfort Orchester, das dort Sonnabend gastiert (siehe Querschnitt), zupaß kommt. Mit dabei ist ja auch Blixa Bargeld von den Einstürzenden Neubauten, und es ist eine lustige Begebenheit, daß der zum Bildungsbürgertum übergelaufene Radikalinski nun unter Curios monströser Medaille singen darf.

Obwohl: Nicht immer ging es nur um Bildung in der Rothenbaumchausse. Bis Ende letzten Jahres wurden hier vor allem junge Menschen gefüttert, das Studentenwerk nutzte das Gebäudeals Mensa. Jetzt betreiben Karl A. Böttger, Jochen Harder und Hanna Saliba das Curio-Haus als offene Angelegenheit. Neben Kongressen sollen vor allem Konzerte stattfinden. Zur Eröffnung des kleineren Weißen Saals (Kapazität: 400 bis 700 Personen, je nach Bestuhlung) spielten die Dixieland-Punks Squirrel Nut Zippers, da wurde champagner-selig Charleston getanzt. Im großen Saal (600 bis 1.500) machte der Jazz-Techniker John McLaughlin den Anfang. Ein kühler Wind wehte da, und Herr Curio schien besonders streng auf uns hinabzusehen.

Vielleicht hatte jemand vergessen, sich die Füße abzutreten.

Christian Buß