■ Die Europäische Union sollte die Rückkehr der aus Kroatien geflohenen Serben tatkräftig unterstützen: Kroatiens serbische Bürger
Durch die militärische Niederlage der serbischen Truppen in der Krajina ist nach vier Jahren Krieg für Großserbien eine Wende mit dramatischen, unmittelbaren und weitreichenden Folgen eingetreten. An erster Stelle steht, daß der Belagerungsring um Bihać durchbrochen und die akute Gefahr gebannt wurde, daß die Stadt in die Hände der Serben fallen würde.
Zum ersten Mal ist damit einer Stadt das Schicksal Dutzender anderer bosnischer und kroatischer Städte erspart geblieben. Wäre eine militärische Aktion gegen serbisch besetzte Gebiete in Kroatien – und als ihre Folge der Entsatz von Bihać – ausgeblieben, dann wären über 150.000 Menschen von den Serben vertrieben worden. Wie groß wären die Massengräber ausgefallen, wenn die Soldaten des 5. Korps der bosnischen Armee, die Bihać verteidigten, in die Hände von Milan Martićs und Ratko Mladićs Soldateska gefallen wären? Statt dessen rollen jetzt ungehindert die LKWs mit humanitärer Hilfe zur ausgehungerten Bevölkerung von Bihać, begegnen sich lange getrennte Familienmitglieder wieder. Für über 100.000 vertriebene Kroaten ist die Rückkehr in ihre Wohnorte in greifbare Nähe gerückt.
Die andere unmittelbare Folge ist der Exodus der Serben, die sich dem Abzug ihrer Soldaten angeschlossen haben, aus Kroatien. Diese Menschen sind mehrheitlich aus ihrer angestammten Heimat geflohen, wenngleich unter ihnen auch viele Offiziere und Soldaten aus Serbien waren. Nicht zu vergessen: die Serben haben auch Gebiete geräumt, die sie früher regelrecht okkupiert hatten.
Als Resultat der Offensive kroatischer Regierungstruppen ist festzuhalten:
1. Die Häuser der vor vier Jahren vertriebenen Bevölkerung sind weitgehend zerstört, ganze kroatische Dörfer dem Boden gleichgemacht; kaum eine katholische Kirche hat das vierjährige serbische Reich auf kroatischem Boden überlebt.
2. Die angestammten serbischen Wohnorte sind weitgehend erhalten, aber ohne Bevölkerung geblieben.
Ist etwas davon in Brüssel registriert worden? Gibt es für die EU Handlungsbedarf? Ich denke, ja. Wenn die EU schon angesichts der militärischen Aggression kläglich versagt hat, so müßte sie jetzt, wo es um zivile Angelegenheiten geht, ihre Kompetenz zeigen. Nach der militärischen muß jetzt eine zivilisatorische Wende kommen, die den Circulus vitiosus der Rache endlich bricht. Die EU kann und muß diese Wende unterstützen.
Die elementare Basis für ein Programm, das die Rückkehr der kroatischen Serben fördern würde, ist da. Offiziell wurden die Serben zum Bleiben aufgefordert. Der kroatische Außenminister Granić hat kürzlich noch einmal die Bereitschaft beteuert, die Rückkehr der Serben in ihre kroatische Heimat zu stimulieren. Und das wichtigste: es gibt dafür eine rechtliche, verfassungsmäßige Grundlage.
Die geflüchteten kroatischen Serben sind de facto noch immer kroatische Staatsbürger, wenn auch nicht de jure. Sie erfüllen die materiellen Bedingungen zur Erlangung der kroatischen Staatsbürgerschaft. Durch ihre Flucht können sie diese Bedingungen nicht verwirkt haben. Der kroatischen Verfassung zufolge kann kein Staatsbürger der Republik Kroatien vertrieben, an einen anderen Staat ausgeliefert noch kann ihm die Staatsbürgerschaft entzogen werden. Dem Geiste dieses Grundsatzes würde es widersprechen, wenn man die Flucht der serbischen Bürger und Bürgerinnen der alten Teilrepublik und damit potentielle Staatsbürger der neuen souveränen Republik Kroatien als „Verzicht“ auf das Staatsbürgerrecht deuten würde. Zumal die Mehrheit der Geflüchteten keinen individuellen Entschluß gefaßt hatte, sondern dem Sog einer Massenpsychose gefolgt war. Außenminister Granić hatte neulich etwas leichthin geäußert, die Rückkehr werde nicht so einfach sein wie der Weggang. Tatsache ist allerdings: der Abzug der Serben aus Kroatien war ein „unbürokratischer“ Vorgang, die Rückkehr kann es naturgemäß nicht sein. Die bürokratischen Wege sind lästig, doch hier liegt womöglich auch eine Chance. Die Serben haben ihre kroatische Heimat als Kollektiv verlassen. Zurückkehren können sie nur als BürgerInnen, die ihre Rechte in Anspruch nehmen, sich als Individuen und nicht als Angehörige einer Herde für die Rückkehr entschließen.
Das größte administrativ-politische Hindernis für eine Rückkehr der kroatischen Serben liegt jedoch nicht in Zagreb, sondern in Belgrad. Formell hängt dies damit zusammen, daß Kroatien keine wirkliche diplomatische Vertretung in Serbien hat, weil es von Belgrad nicht anerkannt wird. Außerdem sind die großserbischen Planer an der serbischen Diaspora immer nur insoweit interessiert, als sie sie für ihre eigenen Ziele instrumentalisieren. Die serbischen Bürger in anderen Staaten und ihre Vertreter werden in Belgrad als Verräter behandelt. Der kroatische Bevölkerungswissenschaftler Mladen Klemenčic brachte den Sachverhalt auf den Punkt: wenn einmal die Serben nach Lapac, Vojnić und in andere mehrheitlich serbische Gebiete in Kroatien zurückkehren, dann ist dies der endgültige Garaus für das Projekt Großserbien.
Deshalb könnte Kroatien sehr wohl nicht nur großzügig einer Rückkehr der kroatischen Serben gegenüberstehen, sondern diese Rückkehr in eigenem Interesse betreiben. Im Moment überwiegt das große Aufatmen darüber, daß „die Serben“ weg sind. Das gilt aber jenen Teilen der serbischen Bevölkerung in Kroatien, die sich – aus welchen Gründen auch immer – so oft in der Geschichte als Kollektiv von außen gegen Kroatien instrumentalisieren ließen. In den Serben, die als Bürger und Bürgerinnen in ihre Heimat zurückkehren, brauchen die Kroaten keine Gefahr zu wittern. Der Spielraum für vernünftiges politisches Handeln im europäischen Sinne ist offensichtlich. Außer der offiziellen kroatischen Seite – die im Wort steht – sind es die bislang von internationalen Diplomaten ignorierten Vertreter der serbischen Minderheit in Kroatien, deren Projekte man tatkräftig unterstützen sollte. Alle die es können, sollten jetzt ein von der EU gefördertes Programm zum Wiederaufbau und ein Sonderprogramm zur Rückführung der kroatischen Serben fordern. Diese Programme müßten unter anderem vermittels einer Werbekampagne der EU in allen großen Medien Serbiens vorgestellt werden. Das wäre ein Fanal für die Rückkehr aus der Barbarei, in die auch Europa, indem es wegsah und untätig blieb, sich hat verstricken lassen.
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