Kritik nach dem Supermarkt-Einsturz: "Bei einem Auto denkt auch keiner, das hält schon"
Der Diplom-Ingenieur Manfred Tiedemann fordert eine bessere Planung und Wartung von Hallen, die so errichtet wurden, wie der in Falkensee eingestürzte Supermarkt. Und einen Abschied von der Geiz-ist-Geil-Mentalität.
taz: Herr Tiedemann, was kann den Einsturz des Supermarktes in Falkensee verursacht haben?
Manfred Tiedemann: Wenn ein Gebäude einstürzt, geht das immer auf eine Verkettung von Umständen zurück. Natürlich lässt sich die Ursache erst mit dem Gutachten feststellen. Allerdings gibt es ein Grundübel, dass im Baubereich in den letzten Jahren um sich greift und das ist die Formel "Geiz ist geil". Das fängt schon bei der Planung an.
Kurz nach Ladenschluss stürzte am Dienstag voriger Woche das Dach eines Supermarktes in Falkensee ein. Seitdem sind Gutachter vor Ort dabei, die Ursache herauszufinden.
Der Supermarktbetreiber zieht nun in Erwägung, bundesweit seine Hallen zu kontrollieren.
Das heißt, es wird schon vor dem Bau gespart?
Ja, und zwar ganz massiv. Dabei sind die Planungskosten im Vergleich zu den Betriebs- und Baukosten marginal, im einstelligen Prozentbereich. Wenn der Bauherr einen Euro investiert durch gute Planung und Prüfung, dann hat er die beste Möglichkeit, auf lange Sicht das x-fache dieses eingesetzten Euros zu sparen. Und da reden wir noch gar nicht über energetisches Bauen.
Das nächste, woran gespart wird, ist das Material?
Genau, von dem Planer erwartet man, dass er eine schnelle und billige, wohlgemerkt, nicht einepreiswerte, sondern eine billige Lösung plant. Das sieht vor, das Baumaterial so weit auszulasten, dass keine Reserven mehr vorhanden sind. Ein Paradebeispiel dafür sind die Nagelplatten...
...die die einzelnen Holzstreben des Daches zusammenhalten sollen und die auch bei dem Markt in Falkensee eingesetzt wurden.
Diese Nageplattenbinder sind sowieso schon höchst sensibel. Die Querschnitte der tragenden Teile werden hier auf das Minimum reduziert. Und wenn es dann zu irgendeinem unvorhergesehen Zwischenfall oder einer Belastung kommt, dann überschreitet das Material die Grenzen seines Tragverhaltens.
Gibt es Schätzungen, wie viele Gebäude so gebaut sind?
Nein, die sind uns nicht bekannt. Aber unsere Erhebung nach dem Einsturz in Bad Reichenhall hat ergeben, dass etwa 50 Prozent der nachträglich überprüften Hallenbauten Fehler hatten - dazu gehörten allerdings nicht nur Leicht- sondern auch Massivbauten. Nach Bad Reichenhall hat es zwar einen Schub in die richtige Richtung gegeben, aber so etwas schläft auch gerne wieder ein.
Ist nur die billige Bauweise schuld?
Nein, auch die Politik. Hier wird genauso an der falschen Stelle gespart. So gibt es in der Verwaltung insgesamt weniger Personal und statt Bauinginieuren Juristen und Ökonomen.
Was muss sich ändern?
Wir müssen diese Geiz-ist-Geil-Mentalität hinter uns lassen. Besser wäre: Qualität ist preiswert. Einmal gut konstruiert und gut gewartet ist insgesamt mehr gespart.
Hilft es, jetzt systematisch solche Gebäude zu kontrollieren?
Mehr Kontrollen könnten viel helfen, wenn danach entsprechend saniert wird.
Was ist, wenn Firmen die Gebäude nur zur Miete nutzen?
Viele Bauvorhaben werden durch Investoren in die Welt gesetzt. Wenn es Probleme gibt, hat der Investor das Gebäude schon lange verkauft. Allen Mietern kann man nur raten, sich das Mietobjekt gut anzuschauen. Genau wie bei einem Auto: Da setzt sich ja auch keiner in ein unsicheres Fahrzeug und denkt, das wird schon halten.
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