: Kritik aus Ost und West von rechts und links
■ Der Einigungsvertrag steht vor seiner zweiten Lesung/ Wenig Aussichten für die Kritiker/ Grüne, PDS und Reps sind sich in der Ablehnung des Einigungsvertrags einig/ Bündnis 90 gespalten
Berlin (taz) — Während der Einigungsvertrag von den Machthabern in Ost und West mehrheitlich bejubelt wird, verstummen einige wenige Kritiker jeglicher politischer Richtung noch nicht. Selbst dann, wenn die Proteste derjenigen, die allein die Kritik eint, wenig Aussichten auf Gehör haben, wenn heute der Einigungsvertrag in die zweite Lesung im Bundestag geht. Die Kritiker von links: DDR-Bürger seien im Einigungsvertrag „ungenügend wirtschaftlich und sozial abgesichert“. Darin sind sich PDS und Grüne in Ost und West einig. Deshalb werden sie den Vertrag endgültig ablehnen. Lediglich Konrad Weiss von der Volkskammerfraktion Bündnis 90/Grüne behält sich vor — trotz großer inhaltlicher Differenzen — dem umstrittenen Vertragswerk zuzustimmen.
Wichtigste Gründe für die Ablehnung seien, so Florian Engels, Pressesprecher von Bündnis 90/Grüne, die unzureichende Finanzausstattung der DDR-Länder, fehlende Sicherheit für preiswerten Mietraum und die Ungleichstellung von Wehr- und Zivildienst.
Die Bonner Grünen vermissen die Ausarbeitung einer neuen Verfassung im Einigungsvertrag. Anstatt die Chance für neue Entwicklungen zu nutzten, würden mit Berufsbeamtentum, Verfassungsschutz und Polizei Strukturen festgeschrieben, „die es zu überwinden gilt“. Der Vertrag dokumentiere die „Ohnmacht des Parlaments“ und schaffe die „Vereinigung der Apparate und nicht der Bürger“. Die Partei kündigt umfangreiche Änderungsvorschläge an: Ökosteuer, Entschädigung der NS- Opfer und radikale Abrüstung werden gefordert.
Die Linke Liste/PDS beklagt die Vernachlässigung der DDR-Bürger. „Soziale Leistungen, die in der DDR besser waren, werden jetzt ungültig oder gelten nur noch begrenzte Zeit. Aber die besseren Sozialleistungen aus der Bundesrepublik gelten nicht für DDR-Bürger“, so der Pressesprecher der PDS-Volkskammerfraktion Harald Grüning. Die PDS lehnt ausdrücklich die Beibehaltung von Artikel 116 im Grundgesetz ab, wonach alle Menschen deutsche Staatsbürger sind, die im Deutschland der Grenzen von 1937 gelebt haben.
Einig sind sich Grüne und PDS mit den Republikanern in einem Punkt: das Wahlgesetz verstößt gegen den Gleichheitgrundsatz. Sie klagen beim Bundesverfassungsgericht.
Ganz anders hören sich die Gegenargumente der Republikaner an. Die Streichung des Artikel 23 sei nicht rechtmäßig, da sie den Beitritt anderer Teile Deutschlands verhindere.
Auch in der CDU-Bundestagsfraktion wird es „einige wenige“ Nein-Stimmen zum Vertrag gegen. Der Präsident des Bundes der Vertriebenen, Herbert Czaja, lehnt trotz Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht ab: die Richter seien dem schweren Druck einer desinformierten Öffentlichkeit erlegen, so Czaja. Karin Mayer
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